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Balkan Blues

Balkan Blues

Titel: Balkan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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Ich bewege mich ja, aber was bringt das? Ich schleppe mich herum, weil es der Arzt so verlangt.« Er blickte das Mädchen an, als wäre ihm eine großartige Idee gekommen. »Sag mal, dort in eurem Dorf sitzen doch die Alten im Schneidersitz vor den Hütten, alle rabenschwarz, und die Jungen gehen vorüber und küssen ihnen die Hände, was? Hier sitzen wir auf einer Parkbank, und die blicken sich nicht einmal nach uns um. Und der Kassenarzt brüllt mir alles ins Ohr, als wäre ich taub. Der denkt sich, der ist alt, taub und meschugge, dem muß man alles ins Ohr brüllen.«
    Mit einem Mal, so als schämte er sich für das Bekenntnis seiner Schwächen oder als sei das Kind verantwortlich für seine Mühen und Plagen, packte er wieder seinen Stock und begann damit herumzufuchteln. »Jetzt reicht’s aber. Fort mit dir, du Murkel, fort!«
    Das Mädchen hatte sich schon längst mit den plötzlichen Stimmungsumschwüngen des Alten abgefunden und war nicht überrascht. Es lief zu den Kindern hinüber und begann sein einsames Spiel.
    Die Treffen zwischen dem Alten und dem Mädchen wurden in den folgenden Tagen zur lieben Gewohnheit. Der Alte lehnte sich zunächst zurück, schloß die Augen und döste eine halbe Stunde. Solange er schlief, kam das Mädchen nicht näher. Es wartete, bis er die Augen aufschlug und es mit dem gleichbleibenden Zuruf »Komm her … Komm, ich muß dir was sagen … Komm …« heranwinkte. Jedesmal nahm das Mädchen seine Einladung an, als hätte es den Besuch beim Alten in sein tägliches Programm aufgenommen. Und der erzählte ihm jeden Tag den gleichen Kummer und die gleichen Beschwerden, bis er genug hatte und es mit seinem Stock fortscheuchte.
    Die Beziehung wurde noch enger, als das Mädchen der beharrlichen Einladung des Alten folgte und endlich neben ihm auf der Parkbank Platz nahm. Es verschränkte die Arme, blickte ihn an und wartete darauf, daß er mit seinem unverständlichen Monolog begann, den es jeden Tag zu hören bekam. Diesmal jedoch hörte es etwas anderes, oder zumindest kam es ihm durch den veränderten Tonfall so vor. Und in der Tat, als wolle der Alte es belohnen, begann er von seiner Tochter zu erzählen, die in Kanada verheiratet war und ihm jedes Jahr zu Weihnachten eine Glückwunschkarte auf englisch und einen Wollpullover schickte. Zu Hause lagen vierzehn Pullover, so viele Jahre lebte seine Tochter schon in Kanada, alle funkelnagelneu, denn er hatte keinen davon je getragen, da sie alle für das kanadische Klima geschaffen waren. Wenn man die in Athen trug, war man bald in Schweiß gebadet. Wie konnte sie nur das heimatliche Klima vergessen, wie konnte sie nur meinen, in Athen wäre es genauso kalt wie in Vancouver.
    Das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, wie Humphrey Bogart zu Claude Rains in Casablanca sagt. Der Alte lud das Mädchen auf seine Bank ein, und es saß da und hörte ihm zu. Nach wie vor verstand es kein Wort, doch die Modulationen seiner Stimme und der Ausdruck seines Gesichts, das sich in Falten legte und wieder glättete, halfen dem Mädchen, seine Geschichten zu verstehen. Von dem Alten lernte es auch sein erstes griechisches Wort: Opa.
    »Ich bin der Opa«, sagte er. »Opa … , sag Opa«, und er buchstabierte das Wort.
    Das schwarze Mädchen sprach ihm das Wort nach. An den folgenden Tagen rief es immer mal wieder zusammenhanglos: »Opa! Opa!« Doch wenn es genug davon hatte, löste es sich von dem Alten und ging spielen. Der Alte ärgerte sich, wenn ihn das Mädchen sitzenließ, doch sosehr er auch nach ihm rief, es kehrte jeweils nicht mehr zu ihm zurück. Da erinnerte sich der Alte an einen alten Kunstgriff, mit dem man sich Freundschaft erkaufen konnte. Nach ein paar Tagen rief er dem Kind zu: »Komm, sieh mal, was ich für dich habe. Komm …« Und er zog ein Bonbon aus seiner Sakkotasche. Er wedelte damit hin und her, doch als das Mädchen herankam und danach greifen wollte, zog er es plötzlich zurück und verlangte, es solle sich zuerst zu ihm setzen. Seit jenem Tag trug der Alte in seiner Sakkotasche stets einen Vorrat an Bonbons bei sich, um das Mädchen anzulocken, und sei es nur so lange, bis sich das Bonbon in seinem Mund aufgelöst hatte. Wenn es manchmal versuchte, das Bonbon zu zerkauen, um schneller wieder wegzukommen, hielt es der Alte mit erhobenem Zeigefinger davon ab.
    »Nicht … Auf keinen Fall …«, sagte er. »Das macht die Zähne kaputt.«
    Anfänglich sagte er das, um das Mädchen von der Mogelei mit dem Bonbon

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