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Balkan Blues

Balkan Blues

Titel: Balkan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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den Rest drauflegst?«
    Sie ließ das Blech liegen, nahm die zwei Euro, die das Mädchen wie jeden Tag neben die Kasse gelegt hatte, und drückte sie ihm wieder in die Hand. Dann deutete sie zuerst auf das Blech mit den Käsetaschen und dann auf den Kühlschrank mit den Getränken, sie zeigte auf die zwei Euro in der Hand des Mädchens und bedeutete ihm mit dem Finger: nein. Von der Kasse holte sie zwanzig Cent und fügte sie zu den zwei Euro dazu. Danach deutete sie wieder auf die Tyropittas und den Kühlschrank.
    »Hast du jetzt verstanden?« sagte sie auf griechisch zu ihm, während sie die Zwanzig-Cent-Münze wieder zurücknahm. Der Unterricht endete mit einem Klaps auf den Hintern, womit sie dem Mädchen zu verstehen gab, daß es gehen sollte. Und es verstand und ging.
    »Ach, das arme Ding! Jetzt kriegt es gar nichts zu essen!« bemerkte die Verkäuferin betrübt.
    Ihre Kollegin erachtete es als überflüssig, offensichtliche Tatsachen zu kommentieren, und kehrte wortlos an den Ofen zurück.
    Am selben Abend tauchte das schwarze Mädchen noch einmal am Imbiß auf, zusammen mit dem Dreißigjährigen, der es jeden Morgen in den Park brachte. Es zeigte ihm die zwei Euro in seiner Hand und deutete dann auf die Kasse. Die Verkäuferin verstand, was das Kind wollte, klaubte ein Zwanzig-Cent-Stück heraus und hielt es hoch. »Die Tyropittas kosten jetzt zwanzig Cent mehr«, erklärte sie. Der Mann nickte lächelnd und strich dem Kind über die Locken. Als es am nächsten Tag wiederkam, hatte es zwei Euro und zwanzig Cent bei sich.
    »Siehst du? Einen Tag lang hat es nichts zu essen gekriegt, und schon hat es begriffen!« triumphierte die eine Verkäuferin über die andere. Sie war stolz, daß sich bestätigt hatte, daß Härte effektiver war als Milde.
    Der Alte hatte von alldem nichts bemerkt, er wußte nicht einmal, daß das Mädchen sich von einer Käsetasche und Wasser ernährte. Denn immer wenn er in den kleinen Park kam, hatte es schon gegessen und spielte alleine. In der ersten Zeit maß der Alte dem Mädchen keine Bedeutung bei. Er saß auf der Bank und hielt den Spazierstock zwischen die Schenkel geklemmt. Nach einer halben Stunde etwa änderte er seine Position. Er legte den Stock neben sich, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor dem Bauch. Sein Blick schweifte über den Horizont, der dreißig Meter vor ihm lag. Wer weiß, vielleicht dachte er über die Kafenions nach, die früher rund um den Platz lagen, wo man den ganzen Tag bei einem griechischen Mokka verbringen und ein paar Freunden beim Tavlispiel zusehen konnte. Nun waren Cafés an die Stelle der Kafenions getreten. Einmal hatte er probiert, sich in eines davon zu setzen, nachdem er lange gezögert hatte, da er die Kombination aus Plastikstühlen und Metalltischchen nicht leiden konnte. Ein Kafenion hatte Holzstühle mit geflochtener Sitzfläche und Holztische, auf die man beim Preference-Spiel die Karten knallen konnte, so daß am Nachbartisch die Gläser klirrten. Doch da es keine andere Lösung gab, biß er die Zähne zusammen. Sobald er sich hingesetzt hatte, eilte ein Kellner auf ihn zu. Bevor er einen süßen Mokka bestellen konnte, fiel ihm der junge Mann ins Wort. »Onkel, das Café ist was für junge Leute, du fühlst dich hier nur fehl am Platz«, meinte er und fügte hinzu: »Vielleicht reißen sie sogar dumme Witze über dich, das wäre doch bitter.« Und dann deutete er auf die Parkbank. »Warum gehst du denn nicht dorthin?« meinte er. »Sieh mal, die Bänke sind frisch gestrichen, sogar Blumenbeete haben sie angelegt. Unter den Bäumen bist du gut aufgehoben.«
    Der Alte wollte ihm schon sagen, zu seiner Zeit habe eine romantische Landschaft aus Thymianbüschen, Kiefern und Wildblumen bestanden, und nicht aus drei verkümmerten Beeten, die während der Olympiade die grüne Lunge Athens bilden sollten. Doch das behielt er für sich, denn er fürchtete mit einem Mal, die Stimmung könne umschlagen und der Kellner von der Lobpreisung landschaftlicher Romantik zu einer öffentlichen Verhöhnung übergehen. Er wußte, daß er mittlerweile ein »Tattergreis« war, doch es war etwas anderes, das selbst zu wissen als es nachgerufen zu bekommen. Wortlos ging er über die schmale Straße und setzte sich auf die Parkbank. Seit jenem Tag war er dankbar, daß man ihm den Platz dort überließ. Der Park bedeutete im Vergleich zum Kafenion zwar einen Abstieg, doch er freute sich, daß er es geschafft hatte, überhaupt irgendwo einen

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