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Balkan Blues

Balkan Blues

Titel: Balkan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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Stammplatz zu ergattern.
    Das schwarze Mädchen bemerkte den Alten zuerst. Wahrscheinlich hatte er seine Aufmerksamkeit erregt, als er zurückgelehnt auf der Parkbank saß – reglos, mit geschlossenen Augen und seinem Stock in der rechten Hand. Kleine Kinder halten einen Schlafenden schnell für tot. So kam es auf ihn zu, um ihn näher und genauer zu betrachten.
    Doch der Alte war weder tot noch schlummerte er. Durch seine halb geschlossenen Lider beobachtete er, wie das Mädchen näherkam. Er sah, wie es vor ihm stehenblieb und ihn betrachtete. Da riß er plötzlich die Augen auf und hob drohend die rechte Hand mit dem Spazierstock.
    »Weg hier, du Murkel! Weg hier!« schrie er dem Kind zu. Doch seine Kraft erlahmte bald, er konnte den Stock nicht länger schwingen, und so ließ er die Hand rasch wieder sinken.
    Das schwarze Mädchen war nicht sonderlich erschrocken. Es wich nur einen Schritt zurück und blickte den Alten weiterhin neugierig an. Der murmelte inzwischen nur noch tonlos vor sich hin: »Neger, Araber, Albaner, aus aller Herren Länder … Ein Wunder, wenn man überhaupt noch Griechisch auf der Straße hört … Wir leben in einer Demokratie, heißt es dann … Wehe, wenn sie losgelassen … Metaxas hat nicht einmal Mussolini und seine Italiener nach Griechenland reinlassen wollen, heutzutage werden wir von Albanern und Negern überschwemmt …«
    Das kleine Mädchen hörte dem Alten aufmerksam zu, obgleich es kein Wort verstand. Vermutlich war es fasziniert von seiner vornübergebeugten Haltung, mit der er auf seine Fußspitzen starrte und vor sich hinmurmelte. Doch das Interesse des Kindes erlahmte bald. Kurze Zeit später erschien der nachmittägliche Schwung der einheimischen Parkbesucher, und das Mädchen lief hin, um sich erneut der Selbsttäuschung hinzugeben, am Spiel teilzuhaben.
    Am nächsten Tag brach am frühen Nachmittag ein Unwetter herein, und der Alte kam nicht. Das Kind suchte unter dem Vordach des Imbisses Schutz. Die Verkäuferin sah, wie es sich an die Wand preßte, um nicht naß zu werden, und hatte Mitleid. Sie schob es in den Laden und drückte es auf einen Schemel.
    »Das arme Ding, es wird ja klitschnaß«, rechtfertigte sie sich ihrer Kollegin gegenüber.
    Die andere wollte schon sagen, daß es nicht ihre Aufgabe sei, sich mit fremden Kindern abzugeben, und daß die Kundschaft gewiß nicht begeistert sein würde, wenn ein schwarzes Mädchen auf einem Schemel mitten im Laden saß und die Kunden anglotzte. Ganz abgesehen davon, daß schwarz grundsätzlich mit Dreck assoziiert wurde, was auf die Kundschaft abstoßend wirken könnte. Doch sie wollte sich mit ihrer Kollegin nicht anlegen und schichtete wortlos die Orangenlimonaden in den Kühlschrank. Schließlich regnete es ja nicht jeden Tag.
    Die Verkäuferin deutete das Schweigen der Kollegin als Einverständnis, nahm eine kleine Spinattasche aus der Vitrine und bot sie dem Mädchen an. Die andere sagte wieder nichts, doch sie dachte, wenn es auch am nächsten Tag regnete, würde sie der Großzügigkeit der Kollegin einen Riegel vorschieben müssen.
    Glücklicherweise hörte der Regen am späten Abend auf. Am nächsten Morgen schien die Sonne, und die Parkbänke waren wieder trocken. So konnte das kleine Mädchen wieder im Park herumschweifen und der Alte seine Bank aufsuchen. Wieder gelang es ihm, ohne daß er es darauf angelegt hätte, die Aufmerksamkeit des Kindes auf sich zu ziehen. Es kam auf ihn zu und musterte ihn. Diesmal saß er nicht zurückgelehnt und mit halb geschlossenen Lidern da. Er stützte sich mit beiden Händen auf seinen Stock, und seine Augen waren weit offen, doch sie blickten wie immer ins Leere.
    Schließlich zwang ihn die hartnäckige Anwesenheit des Kindes, seinen starren Blick auf es zu richten. Getreu seinen Prinzipien und Vorurteilen packte er seinen Stock und fuchtelte bedrohlich in seine Richtung.
    »Fort, fort! Komm mir nicht zu nahe, sonst krieg ich noch Läuse! Das würde mir jetzt gerade noch fehlen.«
    Der Alte hatte zunächst nicht bemerkt, daß das Mädchen ganz allein im Park war. Eines Tages kam er rein zufällig dahinter. Er ließ seinen Blick umherwandern und konnte keine anderen Schwarzen erkennen. Daraus schloß er, daß das Mädchen allein war. Anfangs dachte er, seine Begleitung hätte rasch etwas erledigen müssen. Doch als er am zweiten und dritten Tag dieselbe Beobachtung machte, wurde ihm klar, daß das schwarze Kind allein im Park war. »Schau mal einer an«, bemerkte er zu

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