Ball der Traeume
heruntergekommenen, schlecht verputzten Haus in einem der Vororte aus der Nachkriegszeit an.
Was tat er hier? Er war noch nie zuvor hier gewesen. Eines Tages hatte er die Adresse auf Enids Schreibtisch gefunden und sie sich erstaunlicherweise sogar gemerkt.
Er betrachtete das Haus. Bestimmt hatte es einmal bessere Tage gesehen. Davon zeugten die schäbigen Klinker, die abbröckelnden Fensterrahmen und der vernachlässigte Garten, in dem ein paar Pflanzen in der Hitze schlapp vor sich hin welkten. Als er ausstieg, konnte er das Meer riechen, der Geruch von Tang und Salz lag in der Luft. Der Strand verdiente diesen Namen kaum, er war ein dünner Streifen hinter der Bahnlinie mit ein paar Strandbuden und mittelmäßigen Hotels.
Er hatte Eve nie gefragt, wie sie wohnte. Er hatte auch nie gefragt, wie es ihrer Mutter ging. Auf die Idee wäre er von sich aus nie gekommen. Aber plötzlich schien es wichtig zu sein. Er wollte mehr über sie wissen, über die Frau, die die Mutter seines Kindes sein würde, über ihre Familie.
Er klopfte an der Tür und wartete.
In diesem Moment wurden die Bahnschranken heruntergelassen. Gleich darauf donnerte ein Zug vorbei, Lärm erfüllte die Luft. Dann wurde es still. Damien wollte wieder gehen, wusste aber nicht, wohin. Plötzlich vernahm er ein Geräusch aus dem Haus. Jemand bewegte sich auf die Glastür zu.
Die Tür wurde geöffnet, eine Sicherheitskette klirrte leise. Durch den Spalt sah er das Gesicht einer alten Frau mit tief liegenden Augen. Sie blickte ihn misstrauisch an.
"Mrs. Summers?"
"Ja." Die Stimme klang zittrig. Bestimmt erwartete diese Frau keine Besucher.
"Mein Name ist Damien DeLuca. Eve arbeitet für mich und –"
"O nein", erwiderte sie erschrocken und riss die Tür weit auf. "Ist alles in Ordnung? Es ist ihr nichts passiert, oder?"
Damien hob abwehrend die Hand. "Nein, es geht ihr gut, wirklich. Es gibt keinen Grund zur Besorgnis." Er merkte, wie ihre Panik sich legte, und verfluchte sich wegen seiner Dummheit. "Ich wollte Sie nicht erschrecken, verzeihen Sie. Ich bin nur zufällig gerade vorbeigekommen, und da dachte ich, wir könnten uns vielleicht ein wenig unterhalten."
Die alte Frau strich sich durch das schüttere Haar und stützte sich auf einen Stock.
Krebs. Sie hatte Krebs und ihr Haar durch die Chemotherapie verloren.
Warum hatte Eve ihm nie etwas davon erzählt? Wie schaffte sie es nur, jeden Tag zur Arbeit zu gehen und sich gleichzeitig um ihre kranke Mutter zu kümmern?
"Nun", erwiderte sie, "ich war zwar nicht darauf vorbereitet, aber ich freue mich sehr, Sie kennen zu lernen. Bitte, nennen Sie mich Daphne. Ich habe schon viel von Ihnen gehört."
"Wirklich?"
"Natürlich. Soweit ich weiß, sind Sie ein sehr talentierter junger Mann. Und in Ihrer Firma sind Sie offensichtlich der Hahn im Korb. Möchten Sie vielleicht einen Tee?"
Damien nickte, er musste diese Charakterbeschreibung erst einmal verdauen.
Sie ging voran und führte ihn in die kleine Küche.
"Bitte entschuldigen Sie, dass ich nicht eher an die Tür gekommen bin. Ich bin leider ein bisschen langsam geworden."
Er sah ihr dabei zu, wie sie sich beim Gehen auf ihren Stock stützte. Jeder Schritt schien ihr Schmerzen zu bereiten, aber sie gab sich Mühe, es nicht zu zeigen.
"Lassen Sie mich den Tee machen", bot er ihr an. "Warum setzen Sie sich nicht?"
Sie war zuerst überrascht, dann lächelte sie.
"Danke, das ist nett." Sie zeigte ihm, wo alles war, und ließ sich seufzend auf einem Stuhl nieder.
"Und danke nochmals dafür, dass Sie mir die Pflegerin besorgt haben, als Eve mit Ihnen auf Reisen war", sagte sie.
"Gern geschehen", erwiderte Damien. Er betrachtete den Berg schmutzigen Geschirrs im Spülbecken. Offensichtlich konnte Daphne im Haushalt nur noch wenig machen.
"Wie schaffen Sie es denn, den ganzen Tag so allein im Haus zu sein?" fragte er.
"Ach, das geht schon. Eve macht mir morgens etwas für das Mittagessen zurecht. Wenn es mir möglich ist, helfe ich ihr später bei den Vorbereitungen fürs Abendessen. Aber das ist leider nicht immer so." Dankbar nahm sie die Tasse Tee entgegen.
Damien dachte angestrengt nach. Was fiel Eve nur ein? Das war doch kein Zustand, sie konnte unmöglich ihre Mutter den ganzen Tag allein in diesem Haus zurücklassen, während sie zwanzig Kilometer entfernt in der Stadt arbeitete. Und trotzdem hatte sie sein Angebot, in seinem Haus auf dem Land zu leben, rundweg abgelehnt. Was dachte sie sich nur dabei? Glaubte sie wirklich, sie
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