Ball der Vampire
heilfroh, dass Bill kam und sich an einen Tisch in meinem Servierbereich setzte. Ich brauchte dringend einen Grund, mich von der Bar wegzubewegen. Sonst hätte ich noch auf die Frage antworten müssen, die sich langsam in Sams Kopf formte: Warum magst du Tanya nicht?
Ich erwarte nicht, dass ich jeden mag, den ich kennen lerne, genauso wenig wie ich erwarte, dass jeder mich mag. Aber gewöhnlich kann ich Gründe für so eine Ablehnung nennen, und es ist stets mehr als nur ein unspezifisches Misstrauen oder eine vage Abneigung. Obwohl Tanya eine Art Gestaltwandlerin war, hätte ich eigentlich in der Lage sein müssen, aus ihren Gedanken genug herauszulesen, um meinen instinktiven Argwohn entweder zu bestätigen oder als unbegründet zu verwerfen. Aber ich konnte Tanyas Gedanken nicht lesen. Ich bekam bloß mal hier und da ein Wort mit, wie bei einem dauernd im Rauschen verschwindenden Radiosender. Vielleicht hätte ich ja froh sein sollen, eine Frau meines Alters kennen zu lernen, die eine Freundin hätte werden können. Aber mich beunruhigte, dass sie ein fest verschlossenes Buch für mich war. Komischerweise hatte Sam noch kein einziges Wort über ihre Tiernatur verloren. Er hatte weder gesagt: »Oh, sie ist ein Wermaulwurf« noch »Sie ist eine echte Gestaltwandlerin, so wie ich« oder irgendwas in dieser Art.
Ich war innerlich ziemlich aufgewühlt, als ich an Bills Tisch ging, um seine Bestellung aufzunehmen. Und meine schlechte Laune stieg noch, als ich Selah Pumphrey in der Tür stehen und den Raum absuchen sah. Wahrscheinlich hielt sie nach Bill Ausschau. Ich sagte ein paar schlimme Wörter zu mir selbst, drehte mich auf dem Absatz um und ging einfach weg. Nicht sehr professionell.
Selah starrte mich an, als ich nach einer Weile zu ihrem Tisch hinübersah. Arlene war für mich hingegangen und hatte die Bestellung aufgenommen. Ich hörte Selahs Gedanken zu; heute wollte ich einfach unhöflich sein. Sie fragte sich, warum Bill sich stets in dieser Bar mit ihr treffen wollte, wo manche Leute so feindselig waren. Außerdem konnte sie sich überhaupt nicht vorstellen, dass ein so anspruchsvoller und gebildeter Mann wie Bill je mit einer Kellnerin zusammen gewesen sein sollte. Soweit sie gehört hatte, war ich noch nicht mal aufs College gegangen, und meine Großmutter war ermordet worden.
Und das machte mich offensichtlich zu einer anrüchigen Person.
Dinge wie diese versuche ich nicht zu ernst zu nehmen. Schließlich könnte ich mich ja jederzeit ziemlich wirksam von solchen Gedanken abschotten. Der Lauscher an der Wand hört die eigene Schand' - ein altes, aber wahres Sprichwort, stimmt's? Ich sagte mir selbst (ungefähr sechsmal hintereinander), dass ich keinen Grund hatte, ihren Gedanken zuzuhören, und dass es doch etwas drastisch wäre, zu ihr hinüberzugehen und ihr eine Ohrfeige zu verpassen. Doch in mir kochte die Wut, und ich schien sie nicht unter Kontrolle zu bekommen. Ich knallte mit unnötigem Schwung drei Bier auf den Tisch vor Catfish, Dago und Hoyt. Die Männer sahen gleichzeitig zu mir auf, völlig überrascht.
»Haben wir was falsch gemacht, Sook?«, fragte Catfish. »Oder ist es einfach mal wieder so weit diesen Monat?«
»Sie haben nichts falsch gemacht«, erwiderte ich. Und nein, es war nicht wieder so weit diesen Monat - o doch, war es. Schmerzen im Rücken, schwerer Bauch, geschwollene Finger, all das hätte mir Warnung genug sein sollen. Meine Tage waren da und trugen sehr zu meiner allgemeinen Reizbarkeit bei.
Ich spähte zu Bill hinüber und ertappte ihn dabei, dass er mich mit bebenden Nasenflügeln anstarrte. Er konnte das Blut riechen. Eine Welle der Scham überrollte mich, und ich lief knallrot an. Eine Sekunde lang sah ich die nackte Gier in seinem Gesicht stehen, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle, und seine Miene war gänzlich ausdruckslos.
Wenn er schon nicht aus unerwiderter Liebe auf meiner Türschwelle weinte, so litt er doch wenigstens ein bisschen. Ein kleines Lächeln umspielte meine Lippen, als ich mich selbst zufällig im Spiegel hinter der Bar sah.
Eine Stunde später kam eine Vampirin ins Merlotte's. Sie sah Bill einen Moment an, nickte ihm knapp zu und setzte sich darin an einen Tisch in Arlenes Bereich. Arlene eilte zu ihr, um ihre Bestellung aufzunehmen. Sie sprachen kurz miteinander, doch ich war zu beschäftigt, um weiter darauf zu achten. Und dann bahnte sich Arlene auch schon einen Weg durch das Gewühl der Gäste zu mir.
»Die tote Frau da drüben
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