Ball der Versuchung
heftig gegen das Regal neben Shanes Kopf. Die ganze Konstruktion schwankte gefährlich, fiel aber nicht um. »Nicht so unhöflich, Shane Collins. Ja, ich weiß, wer du bist. Du hast nach uns recherchiert, deshalb habe ich meine eigenen Nachforschungen betrieben. Du hast Probleme mit Daddy, nicht wahr? Das verstehe ich. Hab ich auch. Ich könnte dir alles darüber erzählen, wenn du mit zu mir kommst. Es wäre schön, einen starken Mann zu haben, dem ich von meinen Problemen erzählen kann.«
So schnell ihr Ärger gekommen war, so schnell hatte er sich in Luft aufgelöst und sie war wieder das Vampir-Sexhäschen, das sie im Glass House gewesen war. Sie strich mit den bleichen Fingern Shanes Schlüsselbein entlang und hinunter zu seiner Brust...
»Ich sagte, geh weg«, sagte Shane und öffnete die Augen, um ihr ins Gesicht zu starren. »Ich habe kein Interesse, Blutsauger.«
»Ich heiße Ysandre, Süßer. Nicht Blutsauger, Schlampe oder Blutegel. Und wenn du meinen Besuch in diesem Sumpf von einer Stadt überleben willst, dann lernst du, mich mit meinem Namen anzusprechen, Shane.« Ihre bleichen Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln. »Oder wenn du willst, dass andere das überleben. Lass uns Freunde sein.«
Sie lehnte sich vor und streifte mit ihren Lippen leicht Shanes. Claire sah, wie er erschauerte und ganz still wurde. Ysandre lachte, griff an ihm vorbei in das Regal und nahm eine Packung Chips heraus.
»Mmmm«, sagte sie. »Salzig. Sag deiner Freundin, dass ich den Geschmack ihres Lipgloss mag.«
Sie ging davon. Shane und Claire rührten sich nicht von der Stelle, bis sie außer Sicht war, dann eilte Claire zu ihm. Als sie ihn berührte, zuckte er zusammen, nur ein kleines bisschen.
»Rühr mich nicht an«, sagte er. Seine Stimme klang heiser und die Ader an seinem Hals klopfte sehr, sehr schnell.
»Ich will nicht... „
»Shane... ich bin es, Claire... „
Daraufhin streckte er die Hand nach ihr aus, wie ein Ertrinkender, der sich an eine Rettungsinsel klammert. Sie erschrak darüber, mit welcher Stärke er sie an sich zog. Er beugte den Kopf hinunter und sie spürte, dass sein Gewicht auf ihrer Schulter ruhte. Sie fühlte die fiebrige, feuchte Hitze seiner Stirn an ihrem Hals.
Ein Schaudern durchlief ihn, nur ein Mal, aber es reichte aus, um ihr klarzumachen, für wie schrecklich verkehrt er momentan alles hielt.
»Mein Gott«, flüsterte sie und strich ihm sanft über das Haar. Sein Kopf war nass, schweißgebadet. »Was hat sie mit dir gemacht?«
Er schüttelte den Kopf, ohne ihn von ihrer Schulter zu nehmen. Er konnte oder wollte es nicht sagen. Seine Brust hob und senkte sich unter seinen tiefen Atemzügen, die wie ein Keuchen klangen, dafür aber zu tief waren. Und erst nach einer vollen Minute etwa begann sich Shanes Körper aus dieser schrecklichen Anspannung zu lösen.
Als er sich zurückzog, hoffte sie, einen Blick auf sein Gesicht werfen zu können, aber er wandte sich so schnell ab, dass sie ihn nur verschwommen wahrnahm - verwundete dunkle Augen in einer starren blassen Maske. Er schaute hinunter auf die Chips in seiner Hand, dann ließ er sie fallen und ging davon.
Claire legte sie rasch wieder zurück ins Regal und folgte ihm. Er hielt nicht an und ging geradewegs an den Kassen vorbei. Sie zählte der ungeduldigen Kassiererin Geld für das Hackfleisch hin, schnappte sich die Plastiktüte und eilte ihrem Freund nach, hinaus in die von Lampen erleuchtete Dunkelheit.
Er schloss bereits die Wagentür auf und stieg ein. Sie war noch immer fast vier Meter von ihm entfernt, als er den Motor aufheulen ließ, und sie sah das Aufleuchten der Bremslichter, als er den Gang wechselte.
Einen Augenblick blieb Claire fast das Herz stehen, weil sie dachte, er würde ausparken, davonfahren und sie in der Dunkelheit zurücklassen, aber er wartete. Sie öffnete die Beifahrertür und stieg ein.
Shane bewegte sich nicht.
»Bist du okay?«, fragte sie.
Er schaute sie nicht einmal an.
Er legte den Gang ein und fuhr mit quietschenden Reifen vom Parkplatz.
4
Shane ging schnurstracks in sein Zimmer und kam auch nicht zum Abendessen herunter. Eve hatte gekocht - Spaghetti mit Hackfleischsoße, dem Vampir am Tisch zuliebe mit wenig Knoblauch. Wahrscheinlich war es lecker, aber Claire schmeckte überhaupt nichts. Shanes weißes, starres Gesicht, die Panik und der Abscheu in seinen Augen gingen ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf. Sie verstand nicht, was da passiert war, aber sie wusste, dass er
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