Balla Balla
nach einer ganz schlimmen Niederlage. Soll heißen: Trauer, Trauer, Trauer.
Am Abend war vieles schon ein wenig klarer. Nicht nur für die Presse. Irgendwann in der Nacht, eher in den frühen Morgenstunden musste Jo Hillebrand gestorben sein. Zwischen vier und acht, meinten die Mediziner. Na ja, gestorben. Aller Wahrscheinlichkeit nach war ihm beim Sterben geholfen worden. Man kann auch Mord sagen, wenn es nicht so hässlich klingen würde. Jo Hillebrand wurde, die Spuren am Hals ließen keinen anderen Schluss zu, erdrosselt. Womit, war unklar. Von wem, auch. Verdächtigt wurde jeder. Auch Plotek.
»Ihr Alibi?«, fragte ein Kriminaler mit asketischem Äußeren und knarzender Stimme, der die Verhöre im Schwesternzimmer durchführte.
»Ich habe geschlafen«, sagte Plotek.
»Klar, was auch sonst. Zeugen?«
»Jo Hille...«, sagte Plotek und unterbrach sich, nachdem der Kommissar ihn misstrauisch ansah.
»Und Schwester Sieglinde.«
Die Schwester wurde herbeizitiert.
»Stimmt«, sagte Schwester Sieglinde. »Valium 5. Da schlafen Sie tief und fest und wachen die nächsten sechs Stunden nicht auf.«
»Wann?«, fragte der Kommissar und legte seine Asketenstirn in Falten.
»Um drei.«
»Warum wissen Sie das so genau?« Noch mehr Falten.
»Ich habe es in die Krankenakte geschrieben. Alles muss genau vermerkt werden.« Sieglinde zerstreute jeglichen Zweifel.
»Das wäre dann neun«, sagte der Kommissar. Die Falten waren inzwischen verschwunden, er schnalzte mit den Fingern und Plotek stand mal wieder auf dem Schlauch. Aber im Rechnen war er noch nie eine Leuchte gewesen. Glück gehabt, dachte Plotek, als er schließlich fertig gerechnet hatte. Schwester Sieglinde lächelte. Nur der asketisch aussehende Kommissar war nicht erfreut, weil ihm ein Tatverdächtiger weggebrochen war. Es wurde eng für den Ermittler und die Hamburger Kriminalpolizei. Die stand natürlich unter Druck. Öffentlichkeit, Presse, Fernsehen, Polizeipräsident, DFB, Fanclubs und alles. Die gesamte Fußballwelt stand kopf und verlangte Fahndungsresultate, so schnell wie möglich und bevor die ersten Stimmen laut wurden, die an der Effektivität der Polizei zweifelten. Aber weder im Fall Ivo Jovanovic noch im Fall Jo Hillebrand war auch nur irgendwo ein winziges Licht zu sehen. Die Polizei tappte absolut im Dunkeln und alles blieb unklar. Ein schneller Aufklärungserfolg war so unwahrscheinlich wie der Altona-Nord-Aufstieg in die erste Liga.
»Halten Sie sich zur Verfügung«, sagte der Kommissar nach Beendigung des Verhörs und sah dabei so aus, als wäre er Gandhi, der seine Grundsätze jeden Augenblick über den Haufen zu schmeißen drohte. »Und verlassen Sie bis auf weiteres nicht die Stadt.«
Also immer noch tatverdächtig, dachte Plotek, oder seit wann werden Zeugen mit derartigen Auflagen belegt. Na ja, wenn man keine Fahndungserfolge hat, keine Hinweise, Verdachtsmomente auch nicht, weder Motiv, noch irgendetwas anderes, wenn man rein gar nichts hat, klammert man sich eben an alles und jeden. Das ist dann wiederum ziemlich viel.
»Ich hab Ihnen nur eine Zweier gegeben«, sagte Schwester Sieglinde zu Plotek auf dem Krankenhausflur, als der Asketen-Kommissar fertig war, und legte dabei den Zeigefinger auf ihren schmalen, schönen Mund.
Wirkt nicht mal drei Stunden, dachte Plotek, soll heißen, spätestens um sechs war er wieder wach. Tatzeit zwischen vier und acht. Folge: Wieder Tatverdächtiger. Herzlich willkommen im Kreis der potenziellen Mörder. Der Kommissar hätte sich bestimmt gefreut.
»Ihnen sieht doch ein Blinder an, dass Sie niemandem etwas zuleide tun können«, beruhigte ihn Sieglinde.
»Danke«, erwiderte Plotek und nickte, als wäre er jetzt Gandhi.
»Ich behalte es auch für mich.«
Noch mal danke, dachte Plotek, sagte es aber nicht, sondern stutzte und wartete, ob sie noch mehr zu sagen hätte. Und sie hatte.
»Da wäre noch was, Herr Plotek.« Kurze Pause, scheuer Blick. »Sie müssen mir helfen. Ich glaube nicht an die Polizei. Für die ist das ein Fall unter vielen. Na ja, Jo Hillebrand ist nicht irgendein Opfer. Der öffentliche Druck ist groß. Aber Druck hin oder her, ein Täter fällt nicht einfach vom Himmel.«
Sie machte eine Miene, als ob Plotek tatsächlich Hand angelegt hätte.
»Halten Sie die Ohren offen. Wenn Sie etwas hören, sagen Sie mir Bescheid, okay?«
Hä, dachte Plotek, was soll das denn bedeuten?
»Okay?«
Plotek nickte, obgleich er nicht verbergen konnte, dass er einigermaßen
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