Balla Balla
die Dunkelheit gewöhnt hatte. Als er dann nicht nur besser sehen, sondern der Dunkelheit sogar eine beruhigende Wirkung abgewinnen konnte und die Zigarette auch schon zur Hälfte aufgeraucht war, schlenderte er ganz langsam an der Mittellinie entlang zum Spielfeldrand. Im Stadion herrschte eine seltsame Ruhe. Die schemenhaften Tribünen lagen da wie riesige, schlafende Tiere. Plotek wurde, als er so bedächtig über den Platz schlich, von einem guten Gefühl ergriffen. Das war seltsam – in dieser Situation. So muss sich auch der Kaiser 1990, als die Weltmeisterschaft gewonnen war, vorgekommen sein, als er über den Platz schlurfte, sein eben gewonnenes Kaiserreich abschritt. Nur dass damals siebzigtausend im Stadion waren und nicht einer davon war tot. Jetzt waren offenbar nur zwei hier und einer davon atmete nicht mehr.
Wieder stieg Plotek über die Werbetafeln, zurück auf die Tribüne. Dort blieb er stehen und sah auf den Platz hinunter. Jetzt beginnt gleich die zweite Halbzeit, dachte er, und der Rückstand ist kaum mehr aufzuholen. Im übertragenen Sinne natürlich. Dabei fiel ihm eine dieser fußballerischen Stilblüten ein: »Man muss sich immer auf seine eigene Leistung konzentrieren, sonst vergisst man, das Wesentliche aus den Augen zu verlieren.« Dabei musste Plotek grinsen. In diesem Sinne, dachte er, und ging über die Tribüne in Richtung Eingangstor. Aber: Das Tor war zu.
Keine Schaltuhr also. Da kroch Plotek nun doch die Angst unters Hemd.
Gut, dass das Tor nicht zu hoch war und Plotek drüberklettern konnte. Na ja, so einfach war das auch wieder nicht. Bis Plotek seinen gewichtigen Körper über das mindestens zwei Meter hohe Tor gehievt hatte, war er schweißgebadet. Mit schnellen Schritten und ohne sich umzublicken, entfernte er sich vom Stadion, stieg ein paar Straßen weiter in ein Taxi und fuhr nach Hause.
»Na, Sie sehen ja ganz schön mitgenommen aus«, sagte der Taxifahrer, ein Althippie mit einem dünnen, grauen Zopf und einem unregelmäßigen Dreitagebart.
»Haben Sie dem Leibhaftigen in den Schlund geschaut?«
Er lachte und im Rückspiegel waren seine gelben Zähne zu sehen.
»Ne, dem Allmächtigen in den Arsch.«
Der Althippie ließ Plotek nicht mehr aus den Augen, als wollte er sich sein Gesicht ganz besonders gut einprägen.
Zu Hause angekommen, wartete die nächste Überraschung auf Plotek. Es brannte nämlich noch Licht. Mitten in der Nacht. Ungewöhnlich, dachte Plotek. Und Maike war noch nicht im Bett. Ganz im Gegenteil. Komplett angezogen und eine Zigarette nach der anderen rauchend, ging sie in der Küche auf und ab. Sie schien völlig durch den Wind zu sein.
»Weißt du, wo Wenny steckt?«, stammelte sie mit verheulten Augen.
Wenny liegt in ein Netz eingewickelt, mit einem Ball auf dem Kopf, nackt und tot am Mittelkreis im Stadion, hätte er antworten können. Aber vergiss es. Kein Wort kam ihm über die Lippen. »Mörder! Mörder!«, kreischte dafür der Papagei.
»Du weißt es, oder?« Maike blieb neben Plotek stehen und wurde augenblicklich ruhig, als wüsste auch sie jetzt Bescheid. Und dann fing sie ganz still an zu weinen. Es klang so zart und zerbrechlich, dass Plotek, obwohl er mit weinenden Frauen nicht allzu viel anfangen konnte, ein bisschen gerührt war. Maike legte ihren Kopf auf Ploteks Schulter und schluchzte und zitterte. Es blieb ihm gar nichts anderes übrig, als seine Arme um sie zu legen und sie ein wenig zu beruhigen. Und es funktionierte. Ihr Schluchzen ließ nach. »Vor drei Stunden ist er weg«, sagte sie. »Jemand hat angerufen und ihn ins Stadion bestellt. Ich wollte ihn begleiten, aber er wollte unbedingt allein gehen.«
Und wieder schluchzte und weinte sie, sodass Plotek sie noch ein bisschen fester an sich drückte. Seine Hand fand den nackten Streifen Haut unter dem hochgerutschten T-Shirt. Fühlt sich gut an, dachte er.
»Du warst ja nicht da«, fuhr Maike fort und klang ein wenig vorwurfsvoll.
»Worum ging es denn?«, fragte Plotek.
»Ich weiß nicht, aber ich glaube, es hatte mit Benny zu tun.«
Maike löste sich wieder von Plotek, setzte sich an den Küchentisch und zündete sich wieder eine Zigarette an.
»Benny wollte meinen Onkel verlassen.«
Benny?, dachte Plotek. War Benny van der Tal nicht der Freund von Maike?
»Das hätte Wenny das Herz gebrochen«, fügte Maike hinzu, ohne auf Plotek zu achten. »Wenny hat damit gedroht, Bennys Homosexualität öffentlich zu machen, wenn er ihn verlässt.«
Benny ist schwul?,
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