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Balla Balla

Balla Balla

Titel: Balla Balla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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hat er dann doch noch interessehalber hoch zum Bilderrahmen gegriffen und tatsächlich: fingerdicker Staub.

16

    Natürlich hätte sich Plotek jetzt in ein Taxi setzen und nach Hause fahren können. Obwohl es draußen schon fast dämmerte, war es ihm irgendwie noch gar nicht nach Bett und Augen zu zumute. Dafür war er viel zu aufgekratzt. Außerdem war in den letzten Stunden so viel passiert, dass er nicht einfach alles auf sich beruhen lassen konnte. Natürlich ging ihm der spektakulär inszenierte Tod von Piotr an die Nieren. Aber was sollte man tun, um sich die Nieren nicht ruinieren zu lassen? Verdrängung! Das half meistens. Zumindest bei Plotek. Darin hatte er Übung. Schon jahrelang. Plotek war ein Verdrängungsweltmeister. Ein Problemen-aus-dem-Weg-Geher – oder besser -Sprinter. Ein Langstreckenläufer. Ein Verdrängungs-Marathon-Sprinter. Im Prinzip: ein Paradoxon. Abgesehen davon: einfach Plotek. Zum Beispiel seine Kindheit. Seit drei Jahrzehnten verdrängte er meist erfolgreich seine Kindheit. Ostalb, Lauterbach, Härzfeld, Pfarrer Thanwälder, Landwirtschaft, Schweinezucht, Misthaufen, Familie, Vater, Mutter, Bruder, Schwägerin, Cousin, Cousine und alles. Nur manchmal überfällt sie ihn hinterrücks, die Kindheit, knebelt ihn und tanzt ihm dabei auf der Nase herum, bis er sie wie einen räudigen Straßenköter mit einer Schnellfeuerwaffe oder hochprozentigem Alkohol erlegt, um sie wieder erfolgreich zu verdrängen. Warum? Alles andere half einfach nicht. Langfristig. Hat er alles schon ausprobiert. Von so mancher Couch aus hat er schon zur Decke gestarrt und tiefe Löcher hinterlassen, durch die er nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch zu den Nachbarn schauen konnte. Und da sah es auch nicht viel besser aus. Aber vergiss es. Das Einzige, was ein wenig half – so die Erkenntnis jahrelanger Analyse mit und ohne Psycho war zu verdrängen und zu vergessen. Oder so lange zu verdrängen, bis man vergaß. Und bis dahin an etwas anderes denken. Auch im Fall von Piotrs Tod. Plotek versuchte beharrlich, an etwas anderes zu denken als an Piotrs Tod. Ging aber nicht. Immer wieder tauchten die Bilder wie Schnappschüsse vor ihm auf. Bei jedem Augenaufschlag sah er den Revolver im Mund von Piotr vor sich. Also versuchte Plotek einfach, die Augen offen zu halten. Und es ging. Bis die Augen tränten.
    Ziellos irrte er durch die Straßen und wusste nicht, wohin er sollte und wollte. Immer wieder kamen ihm ähnlich verirrte Verwirrte entgegen. Einige konnten sich, wahrscheinlich weil sie ziemlich unter Drogen standen, nur schwankend auf den Beinen halten. Ein angenehmer Zustand war das, sich einfach treiben zu lassen, dachte Plotek, ohne zu wissen, wohin, und ohne zu wissen, warum. Einfach so.
    Es war eine laue Frühlingsnacht. Sterne standen am Himmel und warme Luft wehte durch die Straßen, zu warm für die Jahreszeit. Die Türsteher vor den mit grellen Neonschriften beleuchteten Nachtclubs warben mit Sensationen und versprachen großspurig alles, was man sich nicht einmal vorzustellen wagte. Müde und mit tränenden Augen winkte Plotek ab. Einige Nutten standen leicht bekleidet am Straßenrand, stolzierten auf hohen Absätzen auf und ab und gingen mit ihrer aufreizenden und unnatürlich wirkenden Weiblichkeit hausieren.
    »Hallo, Süßer«, sagte eine mit Stiefeln bis über die Knie. Ihre Brüste quollen aus ihrem Ausschnitt heraus, wie Brotteig, als sie ihm breitbeinig den Weg versperrte. »Schon was vor?«
    Na ja, eigentlich nicht, dachte Plotek.
    »Sollen wir es uns schön machen?«, fragte sie mit geschürzten Lippen und zwinkerte ihn kumpelhaft an. Als Plotek nicht reagierte, schien sie ihre Chance auf ein gut bezahltes Viertelstündchen schwinden zu sehen. »Du siehst so traurig aus«, fügte sie noch kumpelhafter hinzu.
    Das stimmt auch wieder, dachte Plotek, nickte und wischte sich die Tränen von den Wangen.
    »Brauchst du Aufheiterung?«
    Plotek schüttelte den Kopf, sodass auch dieser Hoffnungsschimmer der Nutte auf ein Euro-Nümmerchen dahin war. Schneller als erwartet gab sie sich geschlagen. Offenbar vermittelte Plotek eine Trostlosigkeit, der selbst diese aufreizende Weiblichkeit nichts entgegenzusetzen hatte.
    »Ein andermal vielleicht«, sagte Plotek, als er sie großräumig umkurvte und die Reeperbahn entlang weitertrottete.

    Als Plotek am Stadion vorbeikam, blieb er kurz stehen. Warum er das Fußballstadion nicht links respektive rechts liegen ließ und einfach weiterging? Keine Ahnung.

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