Ballade der Leidenschaft
dramatisch steil empor.
Rose betrachtete die vertrauten Häuser zwischen dem Hafengebiet und Hauteville, wo sie seit der Hochzeit mit Per wohnte. Quimperlé – die einzige Welt, die sie jemals gekannt hatte … War es klug, dies alles zu verlassen? Aber da Per unter der Erde lag, Adam in England lebte und Ben nur selten bei ihr auftauchte, sah sie keinen Grund, noch länger hierzubleiben. Comtesse Muriel wollte sie zur Rückkehr ins Château überreden. In diesen Mauern war Rozenn aufgewachsen, doch sie fühlte sich hier rastlos und eingeengt von einer Umgebung, die ihrem Wesen nicht entsprach.
So sehr sie Quimperlé auch liebte – die Stadt erschien ihr nicht mehr wie eine Heimat.
Sir Richards Heiratsantrag hätte zu keinem günstigeren Zeitpunkt erfolgen können. Nur gab es da ein Problem. Wann immer sie an ihre Pflegemutter dachte, biss sie auf ihre Unterlippe. Bald würde sie Ivona erzählen müssen, dass sie beide auf Adams Wunsch nach England ziehen sollten. Allein schon der Gedanke würde Ivona zuwider sein, und Rose fürchtete langwierige Diskussionen. Wieso willst du wegfahren, Rozenn? Warum wartest du nicht, bis Sir Richard hierherkommt? Außerdem bangte ihr vor dem Moment, in dem sie die Comtesse über ihre Reisepläne informieren musste. Sie runzelte die Stirn. Allzu lange durfte sie diese beiden unangenehmen Gespräche nicht mehr hinauszögern.
Hinter ihr erklang Bens Laute. Ein Liebeslied. Natürlich. Die Damen gurrten und seufzten, als er zu singen begann, und Rose verdrehte die Augen.
Nur zu gut kannte sie das Lied. Ihre Wangen brannten, und sie bekämpfte den Impuls, ihr Gesicht mit einem Handrücken zu kühlen. Dann drehte sie sich zu Ben um. Ehe er nach seinem letzten kurzen Besuch – und seinem Streit mit Adam – aus Quimperlé verschwunden war, hatte er dieses Lied eines Abends in der Halle gesungen. Mit seinen seelenvollen braunen Augen hatte er nur Rozenn bewundernd gemustert, und sie war unfähig gewesen, einen klaren Gedanken zu fassen. Welch ein Verführer …
Unglaublich, in seinem Haar steckt immer noch ein Strohhalm! Um ein Lächeln zu unterdrücken, biss sie die Zähne zusammen. Großer Gott, warum konnte sie ihm niemals lange böse sein?
„Rozenn, Liebes …“, fragend inspizierte die Gräfin den Teil des Wandbehangs, den sie bestickte, „an welche Farbe dachtest du für das Kleid dieser Dame?“
„An Himmelblau, Comtesse, denn der Hintergrund wird in Grün erstrahlen. Aber wäre es nicht besser, zuerst die dunklen Farben zu verarbeiten, wie wir es besprochen haben?“
„Ach ja, ich entsinne mich.“ Lächelnd neigte sich Comtesse Muriel über die bunten Wollfäden.
„Da Emma das Gras stickt, möchtet Ihr vielleicht mit diesem dunklen Rot beginnen, das wäre wundervoll für die Blumen. Oder Ihr wählt das Kastanienbraun für ein Reh.“
Die Tür schwang auf, die Herdflammen tanzten, und Rozenns Pflegemutter eilte ins Sonnengemach.
„Willkommen, Ivona.“ Die Gräfin blickte von ihrer Handarbeit auf. „Hast du die Kinder gesehen?“
Kinder … Schmerzliche Sehnsucht ergriff Rozenns Herz. Zu ihrem tiefsten Bedauern war ihre Ehe mit Per kinderlos geblieben, und sie fürchtete, es könnte an ihr liegen. Würde Sir Richard das vermuten? Zwei Jahre lang war sie verheiratet gewesen und nicht schwanger geworden. Die Leute in Quimperlé hatten bereits darüber getuschelt. Würde Sir Richard seinen Antrag zurückziehen, wenn er sie für unfruchtbar hielt? Ein Ritter brauchte schließlich Erben …
Unwillkürlich begegnete sie Bens Blick, und plötzlich erschienen ihr die Bande zwischen ihnen so stark wie eh und je. In seinen dunklen Augen erkannte sie Mitgefühl und Verständnis. Erriet er ihre Gedanken? Nein, welch ein Unsinn … In der Kindheit hatten sie einander nahegestanden. Aber jetzt war er – einfach Ben, ein ungebundener Sänger – ein Verführer – ein skrupelloser Schurke, der seinen Vorteil suchte, indem er sich mit allen Leuten gut stellte.
„Die Kinder spielen im Hof, Comtesse“, antwortete Ivona, „seit die Soldaten ihre Übungen beendet haben.“
„Gut. Komm her, Rozenn.“ Die Gräfin klopfte auf den Stuhl an ihrer Seite. „Setz dich zu mir und hilf mir bei diesem Hintergrund.“
Rozenn wählte einen Weg um den großen Tisch herum, der sie nicht in Lady Alis’ Nähe führte. Stattdessen drängte sie sich an Ben vorbei, der neben dem Herdfeuer saß. Er bemühte sich nicht einmal, seine Beine seitwärts zu bewegen, und ihr Rock streifte
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