Ballade der Leidenschaft
und vergrub das Gesicht an ihren Hals.
„Also, hier hast du ihn hinaufklettern sehen?“ Einen Fuß auf der untersten Leitersprosse, hielt Rozenn verwirrt inne und spähte nach oben. Doch sie erblickte nur den hölzernen Rand des Heubodens und ein paar graue Futterballen, die vom letzten Winter übrig geblieben waren. „Seid Ihr sicher, dass er es war?“
Der Stallbursche beförderte den Strohhalm, an dem er saugte, von einem Mundwinkel zum anderen. „So gut kenne ich Benedict nicht. Jedenfalls hing eine Lautentasche am Rücken des Mannes, der ihr hinauffolgte. Deshalb muss er’s wohl gewesen sein.“
Sofort verflog das unwillkommene Glück, das sie seit dem Morgen erfüllt hatte. „Ben ist – ihr da hinaufgefolgt?“
„Ja, Madame.“
In ihrer Kehle entstand plötzlich ein Klumpen, und sie musste schlucken. „Wem – wem ist er gefolgt?“
„Der normannischen Dame mit dem gelben Haar.“
„Lady Alis“, seufzte sie schweren Herzens. „Die Hübsche.“
Wissend grinste der Stallbursche. „Genau die“, bestätigte er, an seinem Strohhalm kauend.
Rozenns Gesichtsmuskeln schienen ihr nicht mehr zu gehorchen. Beim besten Willen konnte sie das Lächeln nicht erwidern. Da sie beschlossen hatte, Sir Richard of Asculf zu heiraten, sollte es sie nicht stören – und es ging sie auch gar nichts an, mit wem Ben sich im Heu wälzte. Schließlich kannte sie seinen Charakter, also war es keine Überraschung. Aber unglücklicherweise durfte sie nicht einfach weglaufen und vorgeben, von nichts zu wissen. Denn Comtesse Muriel hatte ihr befohlen, ihn zu holen.
Wie peinlich …
Damit sie nicht strauchelte, steckte sie den Saum ihres Kleids in den Gürtel, umfasste die Leiter und begann hinaufzuklettern. Auf halber Höhe drehte sie sich zu dem grinsenden Stallknecht um. „Danke, Ivar, du kannst gehen.“ Es brauchte ja nicht gleich alle Welt zu erfahren …
Ivar ergriff eine Schaufel und schlenderte in den sonnenhellen Hof hinaus. „Seid gegrüßt, Denez!“, rief er. Allmählich verhallte seine Stimme, während er mit dem Hauptmann der gräflichen Wache plauderte und ihn zu den Scheunen begleitete.
Beklommen näherte Rozenn sich dem oberen Ende der Leiter und hörte Heu rascheln. Die Zähne zusammengebissen, zwang sie sich, auf die nächste Sprosse zu steigen. Gedämpftes Gemurmel drang zu ihr.
„Behaupte bloß nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“
Ja, eindeutig Bens Stimme. Rozenn fühlte sich elend. Nun erklang ein weibliches Kichern, das ihr den Magen zusammenkrampfte.
„Soll Edouart doch denken, was er will“, zischte die Frau. „Wenn er mich heiratet, wird er die Wahrheit erfahren.“
Noch eine Sprosse. Und noch eine. Rozenns Füße schienen aus Blei zu bestehen, und ihr Herz pochte so heftig, dass sie die Geräusche der Soldaten, die im Hof exerzierten, und die stampfenden Hufe der Pferde in den Boxen kaum noch vernahm. Eine letzte Sprosse, dann erreichte sie ihr Ziel.
Und da lag er, Benedict – dieses rabenschwarze Haar war unverwechselbar, wenn er auch sein Gesicht an Lady Alis’ Schulter verbarg. Mit dem Gewicht seines Körpers hielt er sie im Heu fest, und eines seiner Beine …
Die Lippen zusammengekniffen, taumelte Rozenn auf den knarrenden, mit Strohhalmen übersäten Bretterboden.
Ben hob den Kopf und erbleichte. „Rose!“
Offensichtlich war er verblüfft, sie hier zu sehen. Er richtete sich auf und strich sich das Haar aus dem Gesicht, mit jener charakteristischen Geste, die sein Unbehagen deutlicher verriet, als es Worte vermocht hätten. Genau diese Miene hatte er bei seinem ersten Auftritt vor dem versammelten Haushalt des alten Grafen Remond gezeigt.
„Ben …“ Der beiläufige Gruß, den Rozenn sich zurechtgelegt hatte, blieb ihr fast im Hals stecken. Hinter einem völlig unbegründeten Tränenschleier verschwamm das Halbdunkel des Heubodens. Hastig wandte sie sich ab, blinzelte mehrmals und rang nach Fassung. Sobald sie ihre Gefühle bezwungen hatte, drehte sie sich wieder um.
Nun saßen Ben und Lady Alis nebeneinander. Während er Strohhalme von ihrem Rücken zupfte, flocht sie seelenruhig ihre schönen, zerwühlten blonden Haare zu einem adretten Zopf.
Rozenn versuchte, das Heu in Bens Haar zu übersehen. „Wie ich sehe, hast du deine alten Gewohnheiten beibehalten“, würgte sie hervor. „Lange hast du nicht dazu gebraucht.“
Als er ihren Blick erwiderte, schaute er zumindest für einen Moment so unglücklich drein, wie sie es wünschte. Sehr gut –
Weitere Kostenlose Bücher