Ballade der Leidenschaft
„Glaubst du, das waren normannische Gesandte?“
„Oh ja“, betonte Alis und zog bedeutsam die Brauen hoch.
Gerüchteweise hatte Ben gehört, angelsächsische Flüchtlinge, von den normannischen Machthabern aus England verscheucht, seien in diesem Teil des Herzogtums gesehen worden. Nun fragte er sich, was den Herzog schmerzlicher treffen würde – ein Bündnis Comte Remonds mit einigen vertriebenen, von William enteigneten Sachsen oder eine Allianz zwischen dem Grafen und einem der einflussreichen normannischen Barone. Nachdenklich strich er sich über den Nacken.
Aber dies war weder der rechte Ort noch der passende Zeitpunkt, um irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Der Auftrag des Herzogs lautete nicht, eine Strategie zu planen, sondern Informationen zu sammeln. Außerdem war Herzog Hoël so klug, die meisten Abkommen nicht zu verhindern – gewöhnlich führten sie ohnehin zu nichts. Nein, Ben sollte ihn lediglich auf solche Bündnisse hinweisen, die einem der Barone tatsächlich einen Feldzug gegen ihn ermöglichen würden. Eine wichtige Aufgabe, denn der Friede und die Stabilität des ganzen Herzogtums standen auf dem Spiel.
„Welcher Baron hat diese Leute hierher geschickt? Argentan? Lessay? Mortain?“
„Das mag der Allmächtige wissen“, seufzte Alis. „Aber falls ein Vertrag geschlossen wird, ist es nur eine Frage der Zeit, bis irgendjemand etwas ausplaudert.“
„Gut.“ Ben nickte. „Wenn ich nach England fahre, wird sich der Herzog hier in Quimperlé auf dich verlassen.“
„Natürlich werde ich ihn nicht enttäuschen. Bedenke – er hält meinen Vater gefangen.“
In Alis’ leisem Gelächter schwang eine gewisse Bitterkeit mit, und Ben runzelte die Stirn.
Hubert, Alis’ Vater, war zweifellos ehrenwert. Und obwohl Hoël ihn mit stichhaltigen Gründen festgenommen haben musste, tat es Ben in der Seele weh, dass der Mann hinter Schloss und Riegel saß – und seine Tochter jetzt in die Schattenwelt hineingezogen wurde, der er seit seiner Geburt angehörte.
„Bevor ich mich verabschiede, Alis, möchte ich dich fragen, ob die Damen neuerdings über Rozenn tuscheln.“
„Rozenn, die Schneiderin?“ Sie schüttelte den Kopf. „Was für Klatschgeschichten sollten das sein?“
„Wurde vielleicht erwähnt, dass sie eine Reise plant?“
„Nicht dass ich wüsste. Ich hörte nur, sie habe eine Nachricht von Sir Adam erhalten, sonst nichts.“ Alis hob die Schultern. „Tut mir leid, Ben. Davon abgesehen, kann ich dir nichts erzählen. Ist sie in die Mission verwickelt?“
„So könnte man es nennen, wenn sie auch nichts über meine Tätigkeit für den Herzog weiß.“
Verwundert starrte sie ihn an. „Aber sie ist schon so lange mit dir befreundet. Sicher schöpft sie Verdacht?“
„Nein“, erwiderte Ben in entschiedenem Ton. „Ich war sehr vorsichtig. Um ihrer Sicherheit willen ist es besser, wenn sie mich für einen einfachen Lautenspieler hält.“
„Ah, ich verstehe.“
„Und nun hat der Herzog mich angewiesen, eine Verbindung mit seinen Anhängern in England herzustellen. Da ich noch nie dort war, glaubt er, mein plötzliches Interesse an Williams neuem Königreich könnte Misstrauen erregen. Wenn ich Rozenn über den Kanal eskortiere, wäre es eine perfekte Tarnung.“ Er schnitt eine Grimasse. „Obwohl man ihr ein verlockendes Angebot unterbreitet hat, weiß ich nicht, ob sie darauf anspringt.“
„In Comtesse Muriels Damenkreisen wurde nichts dergleichen besprochen. Versuch es doch bei den Wachtposten des Grafen.“ Alis lächelte. „Schau mich nicht so an! Männer sind genauso klatschsüchtig wie Frauen. Außerdem hat Rozenn Freunde im ‚Weißen Vogel‘. Diese Taverne bevorzugt auch Denez, der Hauptmann der Wache. Vielleicht weiß er – oder einer seiner Männer – ob Rozenn Reisevorbereitungen trifft.“
„Besten Dank.“
Im Burghof erklang die Stimme einer jungen Frau über den dröhnenden Stiefeln der Soldaten. „In den Stallungen?“, fragte sie.
„Auf dem Heuboden, Madame.“ Der befragte Stallknecht lachte. „Vorhin sah ich ihn hinaufsteigen.“
Schnelle Schritte näherten sich.
„Verdammt!“, fluchte Ben. „Genau das habe ich befürchtet.“ Blitzschnell packte er Alis’ Arme und warf sich mit ihr ins Heu.
„Benedict!“
Ohne die Silbernadeln und Seidenbänder zu beachten, zerrte er ihr den Schleier vom Kopf und presste eine Hand auf ihre Lippen. „Um Gottes willen, sei still, Alis!“ Entschlossen schob er sie unter seinen Körper
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