Ballade der Liebe
der Ruin für Flynns Karriere und für die ihre. Würde der Marquess je erfahren, dass Flynn beinahe mit ihr den Liebesakt vollzogen hätte, würde er sämtliche Abmachungen rückgängig machen, die er mit der Königlichen Hoheit getroffen hatte, um Flynns Karriere zu fördern. Flynns Lebenstraum wäre zerstört.
Selbst wenn Rose bereit gewesen wäre, sich für die Liebe zu entscheiden und auf ihre Karriere zu verzichten, durfte sie Flynns Lebensplan nicht aufs Spiel setzen.
Dennoch begehrte sie ihn, fühlte sich leer und einsam ohne ihn. Sie sehnte sich mit jeder Faser ihres Daseins nach ihm, konnte es kaum ertragen, auch nur einen Tag von ihm getrennt zu sein. Ihr einziger Trost bestand darin, dass er sie morgen zum Gesangsunterricht begleiten wollte.
Zu Fuß ging sie in die nahe gelegene St. Paulskirche und setzte sich in eine der hinteren Reihen. Sie genoss den andächtigen Frieden und sang mit Inbrunst die Kirchenlieder, deren Texte sie auswendig kannte. Unter den in der Nähe sitzenden Frauen erkannte sie vereinzelt Straßenmädchen aus Covent Garden, die zum Kirchgang schlichte hochgeschlossene Kleider trugen und die Hauben tief in ihre sauber gewaschenen, ungeschminkten Gesichter gezogen hatten.
Beteten diese Frauen um die Vergebung Gottes, weil sie ein Leben führten wie die heilige Magdalena vor ihrer Bekehrung? Oder beteten sie um eine Chance, diesem Leben zu entfliehen? Rose wusste nicht recht, worum sie beten sollte, also sang sie die Lieder, las die Gebete und lauschte der Predigt.
Nach dem Gottesdienst huschte sie schnell aus der Kirche, so wie die anderen Frauen, die in den hinteren Bänken gesessen hatten. Da sie nicht in die Wohnung zurückkehren wollte, machte sie einen Spaziergang, um Katy zu besuchen, in der Hoffnung, am Vormittag nicht ungelegen zu kommen.
Es dauerte eine Weile, bis die Haustür geöffnet wurde. Schließlich erschien der hünenhafte Diener, der in der Eile seine Weste falsch zugeknöpft hatte und sich die Augen rieb.
„Ich möchte Katy besuchen.“
Er nickte und stapfte schweren Schrittes die Treppe hinauf. Es war sehr still im Haus. Die Bewohner schliefen offenbar noch, und Rose bereute ihren spontanen Entschluss. Was wäre, wenn Katy noch schlief oder Herrenbesuch hatte?
Doch da erschien der Diener auf der Treppe und Katy hinter ihm im Morgenrock.
„Guten Morgen, Rose“, grüßte Katy matt. „Komm rauf.“
„Ich habe dich geweckt“, entschuldigte Rose sich.
Die Freundin schüttelte den Kopf. „Ich konnte ohnehin nicht schlafen.“
Katy führte sie ins Esszimmer, wo Madame sich mit einem ihrer Mädchen unterhielt. Das Mädchen zog sich zurück, und Madame eilte den beiden entgegen.
„Rose, wie gut, dass du kommst.“ Sie küsste sie auf beide Wangen und wandte sich an Katy. „Sollst du nicht das Bett hüten, meine Liebe?“
„Das Bett?“, fragte Rose.
Katy schüttelte den Kopf. „Nein, ich will lieber aufstehen. Ich kann nicht liegen bleiben und ständig daran denken.“
Madame schürzte die Lippen.
„Bist du krank, Katy?“, fragte Rose besorgt.
„Nein.“ Katy strich sich das wirre Haar aus der Stirn.
Vorsichtig hob Rose deren Hand und entdeckte blutige Striemen und Schürfwunden. „Was ist dir zugestoßen?“
Katy entzog ihr die Hand und lachte verlegen. „Ach, nichts.“
„Von wegen nichts“, sagte Madame Bisou erzürnt. „Ich könnte diesen Sir Reginald erwürgen …“
„Sir Reginald hat ihr das angetan?“, fragte Rose entsetzt.
„Aber nein“, entgegnete Katy gereizt.
„Es wäre seine Pflicht gewesen, auf dich aufzupassen“, schalt Madame Bisou. „Du wusstest ganz genau, dass Iris in Vauxhall von einem Mann verletzt wurde. Und trotzdem bist du mit diesem Fremden gegangen!“
Katy verdrehte die Augen. „Ich weiß. Das haben Sie mir schon drei Mal gesagt.“ Sie umklammerte die Rückenlehne des Stuhls, als suche sie Halt.
„Komm, setz dich.“ Rose legte einen Arm um sie.
Katy zuckte zusammen.
Erschrocken wich Rose zurück. „Habe ich dir wehgetan?“
„Dieser Unmensch hat sie ausgepeitscht. Sie hat blutige Striemen am ganzen Körper“, rief Madame Bisou entrüstet. „Und die Schürfwunden an ihren Handgelenken stammen von Lederriemen.“
„Katy!“ Rose zwang sie sanft auf den Stuhl. „Setz dich. Ich bringe dir einen Frühstücksteller. Was möchtest du gern?“
„Ich bin nicht hungrig“, widersprach Katy.
„Ich bring dir trotzdem Toast und eine Tasse Tee.“
An der Anrichte bestrich Rose Toast mit
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