Ballade der Liebe
Tage warten, ob eine Vermisstenmeldung eingeht, und siehe da: Das Warten hat sich gelohnt. Würden Sie sich freundlicherweise die Leichen ansehen, um sie zu identifizieren?“
Flynn blieb keine andere Wahl. Er folgte einem Gerichtsdiener in den Keller eines Nebengebäudes.
„Die beiden waren nackt“, erklärte der Mann ungerührt. „Die meisten Leichen sind nackt. Besonders, wenn sie in den Elendsvierteln aufgefunden werden. Ich gehe von Folgendem aus: Der Mörder beabsichtigte, dass sie möglichst bald entdeckt werden, andernfalls hätte er sie irgendwo verscharrt.“
Die Leichen lagen auf einem langen schmalen Holztisch und waren mit einem groben Wolltuch bedeckt, das mit einer übel riechenden Flüssigkeit getränkt war. Der Gerichtsdiener wies Flynn an, das Tuch anzuheben. Mit wegen des beißenden Geruchs angehaltenem Atem hob Flynn erst die eine, dann die andere Decke leicht an.
Es handelte sich tatsächlich um Mr. O’Keefe und Miss Dawes, fast bis zur Unkenntlichkeit von der Brutalität ihres Mörders entstellt. Flynn nickte dem Gerichtsdiener zu und verließ rasch den Kellerraum.
Danach kehrte er ins Büro des Friedensrichters zurück, um die Formalitäten zu erledigen. Als der Richter erfuhr, dass Rose bei Madame Bisou wohnte und in Vauxhall sang, warf er Flynn einen vielsagenden Blick zu und nahm die Liste entgegen, die Flynn von ihren Bewunderern angefertigt hatte.
„Sie sagen also aus, der Earl of Greythorne drohte, das Paar zu töten, wenn der Vater ihm das Mädchen nicht verkauft?“
Das war die unverblümte, nackte Wahrheit. „Ja, so lautet meine Aussage, Sir.“
„Scheint mir ein ziemlicher Wirbel um ein hübsches Ding zu sein.“ Sein Blick war ausgesprochen skeptisch. „Das haben die beiden Ihnen gesagt, wie?“
Flynn zuckte innerlich zusammen, als der Richter Rose abfällig als hübsches Ding bezeichnete. „Ja, in etwa, Sir.“
„Bringen Sie mir das Mädchen“, wies er Flynn an. „Ich muss sie verhören.“
Flynn sagte ihm Roses Besuch zu.
Bevor er ging, traf Flynn Vorkehrungen, dass die Verstorbenen Holzsärge und ein christliches Begräbnis erhielten, das noch am gleichen Tag stattfinden sollte, wie ihm der Gerichtsdiener zusicherte.
Den Geruch nach Tod und Verderben immer noch in der Nase, machte Flynn sich auf den Weg zu Madame Bisou.
Rose empfing ihn allein in einem kleinen Kabinett. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, eilte sie in seine Arme, nicht von Leidenschaft getrieben wie am Abend zuvor, sondern weil sie seinen Trost brauchte, den er ihr gerne gewährte.
„Wie fühlst du dich, Rose?“, fragte er, als sie sich schließlich voneinander lösten. Er hielt sie bei den Händen und blickte ihr forschend ins Gesicht.
„Ich habe nicht gut geschlafen.“ Sie lächelte dünn. „Aber das war nicht anders zu erwarten. Katy war so lieb und blieb die ganze Nacht bei mir.“
Zärtlich streichelte er ihr die Wange. „Ich bin froh, dass du nicht alleine warst.“
Sie blickten einander lange in die Augen, bevor Rose sich abwandte. „Es gibt frisch aufgebrühten Tee. Darf ich dir eine Tasse eingießen?“
„Ja, gerne“, sagte er.
„Ich erinnere mich, wie du ihn trinkst.“ Sie setzte sich und gab Milch und Zucker in seine Tasse.
Er nahm neben ihr Platz und wartete.
„Ich habe Neuigkeiten“, begann er nach einer Weile mit belegter Stimme.
Sie nickte und sah ihm tapfer in die Augen.
„Dein Vater und Miss Dawes wurden gefunden. Sie sind tot, Rose.“
Wieder nickte sie.
„Ich … habe sie gesehen.“ Er wusste nicht, was er sagen sollte, wollte ihr verschweigen, wie furchtbar ihre Leichen zugerichtet waren.
„Wurden sie ausgepeitscht?“, fragte sie tonlos.
„Ausgepeitscht?“ Ihre Frage kam unvermutet, aber die Leichen wiesen tatsächlich blutige Striemen von Peitschenhieben auf.
Rose blinzelte heftig. „Ich meine, weißt du, wie sie gestorben sind?“
Ja, er wusste es. Der Polizeibericht führte eine ausführliche Liste aller Verletzungen auf, jede klaffende Wunde an ihren Körpern, auch an ihren Geschlechtsteilen. Der Gerichtsarzt hatte die Diagnose gestellt, dass sie verblutet waren.
„Sie wurden erdolcht“, lautete Flynns knappe Auskunft.
Voller Entsetzen wandte Rose das Gesicht ab und stöhnte.
Er nahm ihre Hand in die seine.„Ich habe Vorkehrungen für ein christliches Begräbnis getroffen, Rose.“
„Muss ich daran teilnehmen?“, fragte sie mit zitternder Stimme.
„Nein, niemand zwingt dich dazu.“
„Mein armer Vater!“ Sie
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