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Ballard, James G.

Ballard, James G.

Titel: Ballard, James G. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Welt in Flammen
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sie jetzt Eskimofrauen glichen. Bei ihrem
Anblick fühlte Ransom sich allerdings auch an Gefängniswärterinnen erinnert,
weil er wußte, daß sie allein bestimmten, was ihr Vater tun durfte, der
offiziell Oberhaupt dieser Siedlung war. Ransom hätte keinen bestimmten Grund
für seinen Verdacht angeben können, war aber trotzdem davon überzeugt, daß er
seinen Ausschluß nur diesen beiden Frauen zu verdanken hatte. Julia und Frances
schienen nur um die Erhaltung des augenblicklichen Zustands besorgt zu sein und
betrachteten ihn vermutlich als ernste Gefahr für die Siedlung, weil er es
fertiggebracht hatte, seine Persönlichkeit trotz der zehn langen Jahre in den
Salzdünen einigermaßen unbeschädigt zu bewahren.
    Der Reverend Johnstone, ihr seniler
Vater, hatte inzwischen bestimmt allen Einfluß verloren. Er saß wie ein
gestrandeter Neptun tief im Inneren dieses hilflosen Wracks, hatte das Meer
schon seit Jahren nicht mehr gesehen und litt unter Schwächeanfällen, so daß er
sich oft auf seine Töchter stützen mußte, um nicht von seinem Thron zu fallen.
Johnstone war während der Beschießung verwundet worden, und seine linke
Gesichtshälfte war seltsam rosa und unbehaart. Der auf der rechten Backe
wuchernde graue Bart gab ihm das Aussehen eines schwachsinnigen Königs Lear,
der verzweifelt nach der Macht greift, die seine Töchter längst an sich
gerissen haben. Er schien sogar den Kopf nicht mehr ruhig halten zu können, und
Ransom vermutete, daß er seit zwei oder drei Jahren fast erblindet war. Der
ohnehin enge Horizont der Siedlung wurde durch seine schwindende Sehkraft
weiter beschränkt, was die Entstehung eines strikten Matriarchats begünstigte,
in dem seine beiden Töchter eine dominierende Rolle spielten.
    Falls es innerhalb der Siedlung
überhaupt noch eine Rettung für Ransom gab, mußte sie von der dritten Tochter
kommen. Als er das verlassene Bootsdeck des Frachters erreichte, hatte Ransom
das Gefühl, hier oben in jeder Beziehung über dem trübseligen Leben der
Siedlung zu stehen.
    »Charles!« Vanessa Johnstone lag in
der kalten Kabine auf ihrer Koje und beobachtete die Möwen auf der Reling. Ihr
schwarzes Haar umrahmte noch immer ein makellos weißes Gesicht, das sich in den
vergangenen zehn Jahren kaum verändert hatte. Ransom schloß die Tür hinter
sich, nahm auf der Koje Platz und griff nach Vanessas Händen. Sie erwiderte
seinen Händedruck und lächelte dabei. »Charles, wie ich mich freue ...«
    »Ich war bei Hendry, Vanessa.«
    »Hendry – warum?«
    »Ich ...« Ransom zögerte, weil er
davor zurückschreckte, sich Vanessa völlig auszuliefern. Falls sie durchsetzte,
daß er in die Siedlung aufgenommen wurde, war er ihr für immer verpflichtet.
»Ich wollte Judith hierherbringen und in Zukunft bei euch leben. Hendry war
nicht sehr begeistert von meiner Idee.«
    »Aber, Charles ...« Vanessa
schüttelte den Kopf. »Du kannst nicht in der Siedlung leben. Das ist ganz
ausgeschlossen.«
    »Warum?« Ransom runzelte die Stirn.
»Weshalb seid ihr beide so fest davon überzeugt? Für mich handelt es sich dabei
um eine lebenswichtige Frage. Das Meer ist jeden Tag etwas weiter von hier
entfernt und ...«
    »Das Meer! Wer spricht denn vom
Meer!« Vanessa betrachtete Ransom nachdenklich. »Wenn du in die Siedlung
ziehst, ist es aus mit dir, Charles. Dann rechst du nur noch den ganzen Tag
Salz aus den Kesseln.«
    Ransom wandte sich ab und starrte
lange durch das Bullauge nach draußen. Schließlich fragte er mit müder Stimme:
»Welchen Ausweg gibt es sonst noch, Vanessa?«
    Er wartete, während sie sich in das
weiße Kissen zurücklehnte. Ein kalter Luftzug fuhr durch die Kabine und bewegte
ihre langen schwarzen Haare. »Was soll ich tun, Vanessa?«
    Sie beobachtete die Möwen hoch über
dem Schiff, die an dem Schwertfisch pickten, der am Mast unter dem Kreuz aus
Fischbein hing.

10
     
     
    Ransom stand im Turm des
Leuchtschiffs über den Dünen und sah Philip Jordan nach, der rasch landeinwärts
ging. Offenbar schien er nicht zu befürchten, er könne verfolgt werden, denn er
wählte den geradesten Weg über die weiten Salzflächen, erreichte dann das
ausgetrocknete Flußbett und verschwand schließlich in einem tiefen Einschnitt
zwischen den Hügeln. Ransom stieg die enge Wendeltreppe hinab und trat aufs
Deck hinaus. Neben der Reling schwamm ein einzelner Hering in dem seichten
Wasser des Beckens – Grady war gekommen, um seinen Anteil zu fordern, während
Ransom in der Siedlung gewesen war

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