Ballaststoff
dicht bevölkert war, im Wasser tummelten sich die Badegäste und erzeugten den unverwechselbaren Geräuschpegel eines sommerlichen Strandtages. Tretboote schaukelten in Ufernähe, Surfer glitten über die Wellen, und Motorjachten und Segelboote fuhren weiter draußen über die Ostsee. Georgs Schwiegereltern und seine beiden Schwägerinnen mit Ehemännern thronten bereits in ihren Strandkörben. Astrid und Georg, die keinen Strandkorb gemietet hatten, ließen sich auf Handtüchern nieder, und Georg steckte den Sonnenschirm in den Sand. Wie immer gab es zur Begrüßung ein großes Hallo, als ob man sich ewig nicht gesehen hätte. Dabei hatten sie vor kaum zwei Wochen Johannas 77. Geburtstag gefeiert und sich bei Bergen von Torte und Kuchen – köstlichen, von Schwiegermutter Johanna selbst gebackenen – hauptsächlich gepflegt gelangweilt. Zwischendurch wieder ein wenig Geplänkel über die ewig gleichen kontroversen Themen, anschließend mehr Essen, Grillen im Garten, warmes Bier, das war’s.
Im Moment versuchten sich Peter und Jochen, die beiden Schwäger, wie stets, in munteren Sprüchen über die späten Ankömmlinge zu überbieten, und hielten sich für ausgesprochen geistreich. Georg rettete sich erst einmal in die angenehm lauen Fluten und tobte mit Julia und Judith um die Wette, in der Hoffnung, dadurch seine Stimmung zu verbessern. Von den Cousins und Cousinen der beiden waren nur die siebenjährige Laura und der 13-jährige Philipp mit an den Strand gekommen, und da war ihnen ihr Vater als Kumpel zum Wettschwimmen, Tauchen und Ballspielen allemal lieber. Seine Töchter, die hin und wieder schon eine etwas zickige Damenhaftigkeit an den Tag legten, waren hier wieder nur ausgelassene Kinder, die planschten, prusteten und lachten, dass es eine Freude war.
»Na, Hunger?«
Sein Schwager Jochen klopfte Angermüller im Vorübergehen leicht auf den etwas vorstehenden Bauch, als dieser sich abtrocknete und hungrige Blicke zu dem Campingtisch warf, auf dem alle ihre mitgebrachten Esswaren aufgebaut waren.
»Ich hab noch nicht gefrühstückt«, erklärte Georg und ärgerte sich gleichzeitig darüber. Er musste sich bei seinem eitlen Schwager doch nicht entschuldigen! Jochen war der Mann von Astrids Schwester Sigrid und als Zahnarzt gut im Geschäft. Die beiden lebten in einem großen Haus, nicht weit von hier, in der Nähe des Travemünder Golfplatzes. Jochen ging auf die 60, joggte regelmäßig, spielte Tennis und ritt, war schlank, sportlich, durchtrainiert und wirkte tatsächlich viel jünger, als er war. Sein gutes Aussehen schien ihm unglaublich wichtig zu sein, und wenn man den Gerüchten glauben sollte, dann konnte – oder wollte – er sich vor Verehrerinnen kaum retten, was in regelmäßigen Abständen seine Ehe in Schieflage brachte. An interessante Gespräche mit ihm konnte Georg sich so gut wie nicht erinnern. Er interessierte sich nicht für Jochen, vor allem nicht für seine diversen sportlichen Aktivitäten, und da Georg selbst ungern über seine Arbeit sprach, sah Jochen in ihm nur einen trägen Beamten mit Übergewicht.
Angermüller verspürte Hunger. Doch das Picknickangebot reizte ihn nicht wirklich. Peter, der Hotelier und Gastronom, hatte anscheinend wieder die üblichen Großpackungen mit Würstchen und Bouletten sowie Kartoffelsalat aus dem Eimer beigesteuert und Sigrid irgendwelche fertigen Antipasti in Plastikschalen aufgetischt, dazu gummiartiges Baguette. So nahm er sich eins von Astrids belegten Vollkornbroten mit Käse, dazu ein Ei und Radieschen, und zum Nachtisch freute er sich über Johannas Grießflammeri mit Kirschsoße und auf ein Stück seiner Nusstorte.
Wäre er nicht am Vortag überraschend zum Einsatz gerufen worden, hätte er selbstverständlich noch etwas anderes zum Picknick beigesteuert, einen indischen Reissalat und kleine Tofuspießchen mit Erdnusssoße hatte er sich vorgenommen. Allerdings hatte Georg sich gefragt, ob für diese Truppe die Mühe überhaupt lohnte, denn was Genuss wirklich bedeutete, davon hatten sie, seiner Meinung nach, keine Ahnung.
Mit dem gefüllten Teller ging Angermüller zu seinem Schwiegervater, der mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck allein in seinem Strandkorb saß.
»Na, ist hier noch ein bisschen Platz für mich, Heini?«
»Aber natürlich, mien Jung. Ik freu mich immer, wenn du mir Gesellschaft leisten deist.«
»Kann ich dir vielleicht irgendwas bringen? Magst du was essen oder trinken?«
»N beten wat zum Trinken is wohl
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