Ballaststoff
Toten an die Öffentlichkeit zu geben.
»Dann nutzt dieses Wochenende und sammelt eure Kräfte, damit wir Montag so richtig loslegen können.«
Mit diesen Worten hatte Angermüller seine Kollegen und Anja Lena Kruse, die einzige weibliche Mitarbeiterin in seinem Team, in den Feierabend geschickt.
»Und, wat treibst du so am Wochenende? Schön kochen heut Abend für die Familie?«, hatte Jansen ihn im Fahrstuhl angesprochen. Eine sehr seltsame Frage aus Jansens Mund, fand Angermüller.
»Meine Familie isst heute Abend nicht zu Hause. In dem Segelverein, wo meine Töchter gerade ihren Schein machen, ist heute ein Sommerfest und Astrid ist mit ihnen dort. Ach ja, könntest du mich vielleicht in St. Lorenz absetzen? Da steht mein Fahrrad.«
»Klar, mach ich.«
Eigentlich hatte Angermüller sich bereits für die Nachfrage gewappnet, was er denn dort zu schaffen hatte, doch stattdessen fragte Jansen: »Hast du vielleicht Lust, noch ein Bier mit mir zu trinken?«
Erstaunt sah Angermüller seinen Kollegen an. Was war mit Jansen heute bloß los? Sie arbeiteten seit mehreren Jahren gut zusammen, aber privat ging bisher jeder seiner eigenen Wege. Jansen war fast zehn Jahre jünger als der 40-jährige Hauptkommissar, und ihre Interessen waren ziemlich unterschiedlich. Angefangen damit, dass Jansen mit Feinschmeckerei und Kochkunst überhaupt nichts am Hut hatte, interessierte er sich für Motorsport und Fußball, was beides wiederum nicht zu Angermüllers Vorlieben zählte. Und zumindest bis vor Kurzem hätte Angermüller auch Frauen als ein Hobby seines Kollegen bezeichnet, denn der wechselte sie immer im Rhythmus weniger Wochen und scheute nichts so wie eine feste Beziehung.
Um Gottes Willen nichts Ernstes, war Jansens Credo, ich will doch meinen Spaß haben.
Seit Anfang dieses Jahres allerdings hatte sich anscheinend etwas verändert, seit ein Mädchen namens Vanessa auf der Bildfläche erschienen war.
»Das mit dem Bier ist eine gute Idee, Claus. Aber du hast vorhin vielleicht gehört, dass ich bei Steffen zum Essen eingeladen bin.«
»Stimmt ja! Na, dann vielleicht ein andermal.«
»Klar. Das holen wir nach.«
Es war recht spät geworden bei Steffen und David. Als Dessert hatte Steffen eine luftige Zabaione – er nannte sie Zabaione del medico legale – auf dunklem Schokoladeneis serviert, und wenig später überraschte er mit einer kleinen Auswahl heimischer Rohmilchkäse. Dazu schenkte er einen beeindruckenden badischen Spätburgunder aus, der mit seinen an Kirschen und Mandeln angelehnten Aromen hervorragend mit dem nussigen Käsegeschmack harmonierte. Mitten in der Nacht hatte sich Georg zu Fuß auf den Heimweg in Richtung seines Viertels an der Wakenitz gemacht und sich gegen zwei Uhr in dem beruhigenden Gefühl, dass der nächste Morgen ein Sonntagmorgen war, ins Bett gelegt. An seine Töchter und deren unerschöpfliche Energie hatte er nicht gedacht.
»Guten Morgen, Papa, raus aus den Federn! Es ist Sonntag und wir wollen zum Strand! Alle zusammen!«
Die beiden waren immer noch Frühaufsteherinnen. Judith hockte neben dem Bett und versuchte mit nicht eben leiser Stimme, ihren Vater zum Aufstehen zu motivieren. Angermüller wusste, dass es keinen Sinn hatte, sich gegen diesen hartnäckigen Wecker zu wehren. Außerdem hatte er ja versprochen, mit an den Strand zu kommen.
»Super! Er ist wach!«, rief Judith die Treppe hinunter zum Rest der Familie. »So, jetzt komm, hopp, hopp, schnell ins Bad! Groß gefrühstückt wird hier nicht, wir picknicken am Strand.«
Ganz schön resolut konnte das Kind sein, genau wie seine Mutter.
Wenig später holte Georg seine Nusstorte aus der Speisekammer. Sie duftete berauschend. Er hatte sie bereits am Freitag für diesen Anlass gebacken und mit einem Schokoladenrumguss überzogen. Dann machten sie sich mit dem vollgepackten Picknickkorb, Sonnenschirm, Handtüchern, Luftmatratzen und sonstigen Badeutensilien auf den Weg nach Travemünde, wo Astrids Familie während der Saison traditionell ihre Strandkörbe stehen hatte. Die Aussicht auf einen Strandtag mit der ganzen Sippe war für Georg keine besonders erfreuliche. Außerdem spürte er, dass seine Laune ohnehin nicht die beste war. Doch so sehr ihn das ärgerte, er konnte nichts dagegen tun.
Es war gar nicht so einfach, in der Gegend um die Kaiserallee einen Parkplatz zu finden. Touristen und Einheimische, einfach jeder wollte bei diesem Wetter ans Meer. So war es nicht verwunderlich, dass das Meeresufer
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