Ballsaison: Palinskis siebter Fall
bin’s. Was ist los ?« Dann erschöpften sich seine Antworten auf einige »Ahas«, »Na, so was« und »Na geh«, ehe sie in einem abschließenden »Gut, ich komme. Es wird aber ein paar Stunden dauern« gipfelten.
Palinski frohlockte. Das war genau das, was er sich erhofft hatte. Ein mehr als guter Grund, sich sofort aus diesem irritierenden Umfeld zurückzuziehen. Und Wilma konnte in diesem Fall auch nicht den geringsten Einwand dagegen haben. Welche Mutter hätte etwas dagegen, wenn man ihre ›schiffbrüchige‹ Tochter aus dem rauen Meer auffischte und sicher in den heimatlichen Hafen brachte?
»Ich muss dringend nach Mondsee«, erläuterte er der Frau, mit der er seit 25 Jahren nicht verheiratet war. »Tinas Auto ist nicht fahrbereit, und ich hole sie ab. Wir sehen uns dann am Abend .« Er gab ihr einen Kuss, reichte ihr die beiden Einkaufssackerln, die er bisher getragen hatte, und machte sich auf den Weg zum nächsten Taxi.
»Ja, aber«, rief ihm Wilma nach, »was war das jetzt mit der toten Ente ?«
* * *
Ernst Wahlheimer, inzwischen Ex-Generaldirektor des Pratereinkaufszentrums und ein Mann mit einem gewissen Rückgrat – eine Eigenschaft, die heute schon eher selten anzutreffen war –, hatte sich entschieden. Trotz der von ihm unterschriebenen, ihn über Vertragsdauer hinaus bindenden Geheimhaltungsklausel und der ausdrücklichen Forderung des Mehrheitseigentümers, in der Erpressungssache die »Klappe zu halten«, hatte er sich entschlossen, die Polizei von der Erpressung, vor allem aber von den angedrohten Konsequenzen in Kenntnis zu setzen.
Wahlheimer war aber kein spontaner Mensch. Auch wenn dieser Eindruck nach seiner Reaktion auf Konsul Kehls Verhalten entstanden sein mochte. Der Gedanke, dem Alten alles hinzuschmeißen, hatte ihn schon lange beschäftigt. Sein spektakulärer Abgang war also nicht einer plötzlichen Eingebung folgend geschehen, sondern die Reaktion auf den berühmten letzten Tropfen.
Und so stellte sich Wahlheimer die Frage, wie er am besten vorgehen sollte. Einerseits musste die Polizei über die Gefahr für das Prater-EKZ informiert werden, andererseits wollte er aber namentlich nicht damit in Verbindung gebracht werden. So entschied er sich schließlich dafür, sein Wissen und die damit verbundene Warnung elektronisch an die Polizei weiterzugeben. Nach Überwindung einer gewissen Hemmschwelle begab er sich daher das erste Mal in seinem Leben in ein Internetcafé. In dem fiel der grau melierte Wirtschaftsakademiker im Nadelstreif auf wie ein Königspinguin am Nordpol.
Die Nachricht mit dem alarmierenden Betreff ›Meldung eines geplanten Verbrechens‹ wurde vom Postmaster der Polizeidirektion, oder wie immer sich der elektronische Mitarbeiter nannte, nach verschiedenen Kriterien geprüft.
Nachdem die Warnung auch die Spamhürde genommen hatte, landete sie schließlich in der Abteilung, die die eingehenden E-Mails nach ihrer Ernsthaftigkeit, Wichtigkeit und Dringlichkeit prüfte. Und die Kollegen hatten wirklich einiges zu tun in diesen Tagen.
* * *
Tina Bachler hatte sich am Buffet des Rasthauses zwei Wurstsemmeln und einige Müsliriegel besorgt und wollte sich jetzt im Freien eine Bank suchen, um die Wartezeit bis zum Eintreffen ihres Vaters zu einem ausgedehnten Sonnenbad zu nutzen.
Langsam schlenderte sie über den großen Parkplatz hin bis zur Wiese, von wo aus der Blick auf den weiter unten liegenden Mondsee besonders hübsch war. Hier standen auch einige Bankerln und luden zum Verweilen ein.
Sie nahm Platz und begann, an einer der beiden mit Schinkenwurst belegten Semmeln zu kauen. Am See zogen einige auf Spielzeuggröße reduzierte Segelboote ihre Bahnen, und ein paar besonders abgehärtete Typen tollten bereits in dem sicher noch nicht allzu warmen Wasser.
Auf der Bank neben jener, die Tina ausgewählt hatte, lümmelte ein junger, schlaksiger Bursche von vielleicht 14, 15 Jahren. Mit großen hungrigen Augen beobachtete er, wie sie in die Semmel biss, einige Male kaute und den Inhalt ihres Mundes einspeichelte, dann schluckte und neuerlich abbiss. Die junge Frau hasste es normalerweise, so beobachtet zu werden. In diesem Fall hatte sie aber nicht den Eindruck, dass der Bursche sie belästigen oder mit ihr anbandeln wollte, dazu war er einfach zu jung. Er sah eher aus, als ob er Hunger hatte, schlicht und einfach Hunger.
Und so brach sie die zweite Semmel in der Mitte auseinander und hielt ihm die eine Hälfte hin. »Appetit darauf ?«
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