Ballsaison: Palinskis siebter Fall
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Samstag, 7. Juni, bis zum frühen Nachmittag
Tobias Nachens Appell an die Entführer seiner Tochter, der seit gestern Mittag alle drei Stunden über den Rundfunk und die wichtigen Fernsehsender ausgestrahlt wurde, war bisher ohne Ergebnis geblieben. Zwar riefen immer wieder Menschen an, die Sabine irgendwo gesehen haben wollten, alleine oder in Begleitung. Diese Angaben erschienen der Polizei allerdings durchwegs unglaubwürdig und wurden daher, wenn überhaupt, nur sehr oberflächlich überprüft. Immerhin ließen Entführer ihre Opfer kaum für die Öffentlichkeit frei erkennbar auf Autobahnrastplätzen herumlaufen.
Nachen flehte die Entführer förmlich an, Sabine bloß nichts anzutun und sie so bald wie möglich freizulassen. Er sicherte ihnen zu, auf seinen Einsatz bei der EURO 08 sofort und unwiderruflich zu verzichten, falls das den Intentionen der Entführer entsprechen sollte. Hauptsache, er konnte das arme, verängstigte Kind endlich wohlauf in die väterlichen Arme schließen.
Am Abend vorher hatte in Frankfurt eine fingierte Lösegeldübergabe stattgefunden, die mit der Verhaftung eines gewissen Hans Werner A. (38) geendet hatte.
Der Erpresser soll Angaben der Pressestelle der Frankfurter Polizei zufolge die Fragen nach dem Aufenthalt Sabines nur mit einem hämischen Lachen beantwortet haben. Nach mehr als fünf Stunden Verhör soll der Mann allerdings »ziemlich altbacken« gewirkt haben.
Während sich die deutschsprachige Welt langsam daran gewöhnte, dass Sabine P. noch immer nicht gefunden worden war, wachte das arme, verängstigte Kind, das sich nach wie vor Jan Paluda nannte, in einem Schrebergarten am Rande von Fürth auf. Hier hatte es mit seinen neuen polnischen Freunden gefeiert und dann auf einer Campingliege geschlafen. »Jan« fand immer mehr Gefallen an ihrem neuen Leben und dachte gar nicht daran, sich zu Hause zu melden. Mutter würde bloß durchdrehen und ihr sofort alles verbieten. Mindestens für die nächsten sechs Monate. Aber Vater wollte sie kennenlernen. Sie hatte sich vorgenommen, nach Möglichkeit heute bis Wien zu kommen. Mal gucken, wie weit sie noch mit Zbigniew und seinen Freunden mitfahren konnte.
* * *
Pünktlich um 7.40 Uhr hielt ein großer schwarzer BMW mit Chauffeur vor dem Haus Döblinger Hauptstraße 15. Zwei Minuten später setzte sich das Fahrzeug schon wieder in Bewegung, mit Wilma und Marianne an Bord und Richtung Hotel ›Imperial‹. Dort trafen die beiden Damen mit Mag. Renata Brionigg und Mag. Erika Fuscheé zusammen. Es war wahrhaftig ein hochrangiges ›Magistrae‹-Treffen, denn auch Wilma und Marianne waren Trägerinnen dieses akademischen Grades. Sozusagen zum Drüberstreuen wurde das Quartett noch von Mag. Sonja Hebenstreit betreut, der stellvertretenden Protokollchefin im Außenamt. Die Einzige, die nicht richtig dazu »passte«, war die persönliche Referentin Frau Brioniggs. Nadia Pertschnig hatte ein Doktorat in Philosophie.
Kurz nach 8.30 Uhr setzte sich der kleine Luxusbus, angeführt und gefolgt von je einem Wagen mit Sicherheitsbeamten an Bord, in Bewegung Richtung Krems. Knappe 15 Minuten später, der kleine Konvoi ließ gerade die Ausfahrt Korneuburg rechts liegen, holte Wilma eines der beiden Sackerln mit Marios Spezial-Kokosbusserln heraus, die sie sich noch kurz vor der Abfahrt mit Florians Hilfe organisiert hatte. Man wusste ja nie, und sie wollte gerüstet sein. Erfreut stellte sie eine hohe Akzeptanz des seltsamen Backwerkes und eine entsprechend starke Nachfrage bei ihren Mitreisenden fest. Und die zahlreichen Ahs und Ohs, die ›Brandecks Spezialitäten‹ stellvertretend für Mario einheimsten, machten sie irgendwie ganz stolz auf ihren kleinen Spinner zu Hause.
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Dr. Franz Netuschil war Notar in Wien und nach einem Kurzurlaub in New York heute wieder den ersten Tag in seinem Büro. Obwohl es Samstag und daher kein Parteienverkehr zu erwarten war, war dem fleißigen Arbeiter nach fünf Tagen Sightseeing in Big Apple und Shows am Broadway die heimelige Atmosphäre seiner Kanzlei abgegangen. Samstag war ein guter Tag, um die Post in Ruhe durchzusehen und sich wieder auf den letzten Stand des Geschehens zu bringen. Er hatte die ganze Zeit keine Nachrichten aus Österreich erhalten und wollte jetzt wissen, was sich in der vergangenen Woche so getan hatte.
Nachdem er Wasser heiß gemacht, in sein Lieblingshäferl gegossen und ein Sackerl Pfefferminztee hineingehängt hatte, machte er es sich mit
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