Ballsaison: Palinskis siebter Fall
nur Kopfschmerzen bedeuten. Und der Tag war näher, als dem Patriarchen lieb sein konnte.
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Sabine Pleschke alias Jan Paluda war mit ihren polnischen Reisegefährten heute Morgen noch bis München mitgefahren. Hier hatten sich ihre Wege getrennt. Jana, Karel und Monika wollten weiter nach Stuttgart und sie nach Salzburg. Sie hatte allerdings vor, sich vorher noch ein ordentliches Frühstück in der Stadt zu genehmigen.
Im Augenblick hatte sie sich ein kuscheliges Plätzchen an der Isar gesucht und holte den Schlaf nach, den sie letzte Nacht nicht gefunden hatte. Ihre durchwegs um sieben bis acht Jahre älteren Freunde hatten gefeiert, was das Zeug hielt. Irgendwann war es dem stillen Burschen, wie sich Jan alias Sabine gab, aber zu viel geworden und er hatte sich zurückgezogen. Und dann zwar Ruhe gehabt, aber nicht schlafen können.
Die Aufregung um ihre »Entführung« hatte sich inzwischen von der Titelseite ins Blattinnere verlagert, von der Schlagzeile zur mehr oder weniger kurzen Meldung auf der Sportseite oder im Chronikteil gewandelt. Deutschland und der interessierte Rest der Welt hatten sich daran gewöhnt, dass Sabine Pleschke nicht da war, wo sie der Meinung ihrer Mutter, ihrer Großmutter und auch der Nummer eins im Tor der deutschen Nationalmannschaft nach hätte sein sollen.
Das war etwa zwei Stunden vor dem Eröffnungsspiel der EURO 08 im Basler St.-Jakobs-Park und rund 26 Stunden vor der mit Hochspannung erwarteten Begegnung Deutschland gegen Österreich in Wien.
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Samstag, 7. Juni, später am Nachmittag
Nachdem Renata Brionigg und Erika Fuscheé kurz nach 16.00 Uhr von einem Hubschrauber abgeholt worden waren – beide Damen hatten um 19.30 Uhr einen offiziellen Termin in der Staatsoper, ›La Bohème‹ mit der Tiziani und Marco Berulli –, hatten sich Wilma und Marianne ganz gemütlich nach Wien bringen lassen.
Auch die beiden hatten heute Abend noch einiges vor. Immerhin wurde Marianne morgen 34 Jahre alt, ein guter Grund, um mit Anselm, der Familie Wilmas und einigen Freunden in einem erstklassigen Restaurant in der Innenstadt fein zu essen und das Geburtstagskind um Mitternacht hochleben zu lassen. »Hineinfeiern« nannte man das. Das bedeutete einen langen Abend und eine kurze Nacht. Denn am nächsten Tag um 9.00 Uhr stand schon wieder etwas Einmaliges auf dem Programm. Das Frühstück mit dem slowenischen Ministerpräsidenten und seiner Frau. Mario würde Augen machen.
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Nach einer kurzen, sehr berührenden Eröffnungsfeier, die mit dem Aufsteigen von 10.000 Luftballons mit Friedensbotschaften an die Fußballfreunde in aller Welt ihren abschließenden Höhepunkt fand, erklärte der Schweizer Bundespräsident die Fußballeuropameisterschaft 2008 für eröffnet.
Mit der geringfügigen Verspätung von zwei Minuten pfiff der russische Unparteiische Anatoli Karpolew im Basler St.-Jakobs-Park-Stadion um 18.02 das Eröffnungsspiel Schweiz gegen Portugal an. Das große, lange und sehnsüchtig erwartete Fußballspektakel hatte begonnen. Für mehr als drei Wochen hatte jetzt das runde Leder, der Ball, um den sich alle Träume drehten, Saison. Endlich! ›Expect emotions‹.
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Palinski saß in der Wohnung und wartete ungeduldig auf Wilmas Heimkehr. Im Laufe des Tages hatte er mehrmals versucht, sie telefonisch im Waldviertel zu erreichen. Hatte sie auf ihrer Mailbox angefleht, ihm einen ersten »Stimmungsbericht« zu geben.
Aber vergebens, die Frau, mit der er nunmehr schon länger als 25 Jahre nicht verheiratet war, hatte auf sein drängendes Bemühen einfach nicht reagiert. Was weiter nicht verwunderlich war, hatte sie ihr Handy doch irrtümlich zu Hause, in einer anderen Jacke vergessen. Das wusste Palinski aber nicht.
Um sich die Zeit zu vertreiben, hatte er sich die Eröffnung der EM in Basel angesehen und verfolgte jetzt halbherzig das langweilige Spiel, das in der 35. Minute noch immer 0:0 stand. Auch wenn die Schweizer bisher leichte Vorteile für sich verbuchen konnten.
Es war ein typisches Eröffnungsspiel, geprägt von Vorsicht und dem deutlich erkennbaren Bestreben, bloß keine Fehler zu machen. Keine Fehler bedeuteten beim Fußball keine Tore. Tore waren aber das Salz dieses Spiels, und ohne Salz mundete es wie … na ja, wie salzlose Kost nun einmal schmeckte, schrecklich eintönig. Zum Vergessen.
Und genau das war das Spiel auch bis zur 47. Minute. Wenige Sekunden vor Ablauf der angezeigten Nachspielzeit nahm Andi Bellinson im
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