Ballsaison: Palinskis siebter Fall
wirkender älterer Herr mit schlohweißer, wallender Mähne und eine korpulente, auf faszinierende Weise nichtssagende Dame Platz genommen. Vom Patron auf das Wienerischste willkommen geheißen mit: »Küss die Hand, gnädige Frau. Guten Abend, Herr Konsul, schön, dass Sie uns wieder einmal die Ehre geben .«
Der alte Herr ging nicht weiter darauf ein, sondern öffnete die Speisekarte. »Mein Sohn wird etwas später nachkommen«, teilte er dem bereitstehenden Ober mit, »aber wir fangen schon einmal an .«
Anselm Wiegele hatte beim Eintreten des Paares aufgeblickt und leicht mit dem Kopf genickt. Gegrüßt, wie es Palinski schien.
»Kennst du diese Leute ?« , flüsterte er dem Freund zu.
»Das sind Konsul Dr. Hans Jürgen Kehl und seine Frau, der Hauptsponsor unseres Teams«, damit meinte er natürlich das DFB-Team.
»Der Kehl ?« , vergewisserte sich Palinski fast ungläubig, »der deutsche Supermarktkaiser?«
»Genau der«, bestätigte Wiegele, »inzwischen gehört ihm aber auch schon einiges bei euch hier. Wie zum Beispiel das Einkaufszentrum beim Ernst-Happel-Stadion.«
»Aha, aber warum …«, der exakt zu diesem Zeitpunkt servierte ›Tafelspitz mit Rösterdäpfel und Schnittlauchsauce‹ hatte Palinskis Konzentration abreißen und seine Frage vergessen lassen.
Wir werden daher niemals erfahren, was er in diesem Moment hatte wissen wollen. Aber was soll’s? Wird schon nicht so wichtig gewesen sein.
* * *
Konsul Emden schlich lautlos durch das leere Kellergeschoss des Gebäudes, in dem demnächst sein nächster und bisher größter ›Wumm‹ stattfinden sollte. Er hatte sich unter einem anderen Namen einen Schlüssel zu dem Komplex beschaffen können, was ihm bei seinem heutigen Vorhaben sehr entgegengekommen war. Eben hatte er die letzten Handgriffe für die Sprengung getan, die Vorbereitungen waren damit abgeschlossen. Besonders amüsant fand er den Umstand, dass ihm in diesem Fall seine spezielle »Tarnung« sehr viele Freiheiten ermöglichte. So hatte ihm unter anderem, es war wirklich zum Lachen, einer der Wachleute geholfen, einen Teil des Sprengstoffes in das Gebäude zu bringen. Natürlich hatte der Unglückselige keine Ahnung davon gehabt.
Jetzt hatte Konsul Emden, der heute ein wenig zu hinken schien, den hinteren Notausgang erreicht und trat vorsichtig ins Freie. Die leichte Anspannung, die ihn erfüllt hatte, fiel von ihm ab, und er stellte fest, dass er Hunger hatte. Das traf sich gut, denn er wurde ohnehin noch zum Essen erwartet.
* * *
Der Polizist Anton Weber war mit dem Umschlag sofort ins Koat Döbling auf der Hohen Warte zurückgekehrt. Da Oberinspektor Wallner nicht mehr im Hause war, brachte er seinen Fund zu Inspektor Franz Haberfellner, dem stellvertretenden Leiter der Kriminalpolizei am Kommissariat. Da Weber über die Bedeutung des Adressaten für einen aktuellen Mordfall Bescheid wusste, machte er den Inspektor sofort darauf aufmerksam. Dieser kannte den Fall zwar nicht wirklich, aber gut genug, um die mögliche Brisanz des Fundes erahnen zu können. Daher hielt er sich auch nicht lange mit der Überlegung auf, ob er den Umschlag öffnen sollte oder nicht, sondern schaffte Fakten. Er zog sich Handschuhe an, um das Kuvert nicht auch noch mit seinen Fingerabdrücken zu übersäen, und öffnete es. Vorsichtig nahm er ein Schreiben sowie eine kleine Schachtel heraus und stellte sie vor sich auf den Schreibtisch. Dann hob er den Deckel ab, nahm die als Abdeckung dienende Schicht Watte herunter und starrte auf … ja, was war das eigentlich? In jedem Fall etwas für das Kriminaltechnische Labor.
Jetzt nahm er sich das Schreiben vor. Und wusste plötzlich, was er in der kleinen Schachtel gesehen hatte. Bei dem stacheligen, undefinierbaren Klumpen handelte es sich um die mit Rasierschaum verklebten Reste der Schambehaarung des ermordeten Architekten. Natürlich vorbehaltlich der Ergebnisse der Laboruntersuchung. Der Inhalt des Begleitschreibens klärte aber auch noch die restlichen Geheimnisse dieses Falles, der eigentlich aus zweien bestand.
Und dann passierte noch etwas, das sich im Konnex mit den aktuellen Ereignissen wie ein kleines Wunder ausnahm. Als Haberfellner zwei Beamte in die Strassergasse 10 schicken wollte, um Serge Hiebler wegen des dringenden Verdachts des Mordes an Urs Immenseh festzunehmen, teilte ihm der Diensthabende Erstaunliches mit. Nämlich, dass sich ein Mann dieses Namens bereits im Wachzimmer befand und dabei war, eine Aussage zu
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