Ballsaison: Palinskis siebter Fall
Pleschke alias Jan Paluda hatte die Reise zu ihrem Vater bisher sehr genossen. Sie war ihr wie Urlaub vorgekommen. Eine von diesen Fahrten in den Süden, von denen ihr ihre Großmutter so oft erzählt und die sie in den besseren Tagen tatsächlich gemacht hatte.
Im Lauf des Abends war ihr der Spaß aber gründlich vergangen. Zunächst hatte alles noch so prima ausgesehen. Da war einmal diese nette türkische Familie gewesen, die sie bis Salzburg mitgenommen hatte. Obwohl in dem alten VW-Bus ohnehin kein Platz mehr gewesen war, hatten sie diese freundlichen Menschen auf die Rückbank zwischen die alte Oma und die beiden Kleinen geklemmt. Die Fahrt war sehr nett gewesen, eng, aber wirklich nett.
Da ihre neuen Freunde nach Villach mussten, Sabine aber nach Wien, trennten sich ihre Wege am Walserberg. Dort war sie nach zwei Stunden Siesta in der Sonne und einer Jause im Rasthaus mit Dolly in ihrem alten VW mitgefahren. Diese Frau hatte sie an der Kasse angesprochen und ihr angeboten, sie mitzunehmen. Sogar bis Wien, nachdem Sabine dieses Reiseziel genannt hatte.
Dann hatte Dolly ihr allerdings den Rucksack mit dem Ausweis und ihrem gesamten Vermögen, mehr als 400 Euro, abgenommen und sie am Rastplatz Mondsee hinausgeschmissen.
Und da saß Sabine jetzt seit vielen Stunden auf einer Bank, sah hinab auf den im Mondlicht gleißenden See und wusste nicht, was sie tun sollte. Ihre Stimmungslage schwankte zwischen Angst, Zorn und Niedergeschlagenheit. Dazu kam, dass ihr trotz der milden Nachtluft langsam kalt wurde. Aus dem in den letzten Tagen äußerst selbstsicher gewordenen Jan war schlagartig wieder die ›kleine Bine‹ geworden, die sich nach ihrem wohlbehüteten Zuhause bei Mama und Oma sehnte und nicht wusste, wie es weitergehen sollte.
Schließlich siegte die Natur über das momentane Chaos. Sabine legte sich auf die Bank, rollte sich zusammen und war innerhalb von Sekunden eingeschlafen.
* * *
Kurz nach 21.30 Uhr war die Runde im ›Drei Husaren‹ tatsächlich komplett. Ja, selbst Helmut Wallner, der noch um 20.00 Uhr einen Termin in der Polizeidirektion gehabt hatte, war fast pünktlich erschienen.
Zur Einstimmung hatte Uwe Kohl Palinski und seine Freunde mit einem speziell für das Geburtstagskind kreierten Cocktail erfreut, den er ›Mariannes Delice‹ getauft hatte. Irmi und Harry, die sich das Warten auf die anderen mit mehreren Gläsern Champagner an der Bar vertrieben hatten, waren schon sehr guter Stimmung, um das einmal höflich zu formulieren. Wilma blickte besorgt auf ihren in Permanenz an Irmi knabbernden Sohn und beobachtete mit Argwohn, wie die junge Frau darauf reagierte. Schließlich fand sie, dass es genug war. Sie flüsterte Palinski etwas ins Ohr, dann stand sie auf und ersuchte die Freundin ihres Sohnes, mit ihr zu kommen. Was Irmi schließlich auch tat.
»Was soll denn das ?« , wollte Harry schon aufbegehren, aber Palinski gab ihm mit einer Geste zu verstehen, ruhig zu bleiben.
»Vergiss nicht, dass dieser Abend Mariannes Abend ist und nicht deiner oder Irmis«, erinnerte er den Junior. »Wenn ihr in der Disco seid oder bei Freunden, dann könnt ihr so weit gehen, wie ihr es verantworten könnt. Aber wenn ihr mit uns unterwegs seid, dann nehmt bitte Rücksicht darauf. Klar ?«
Einen Moment lang schien es so, als ob Harry widersprechen wollte. Dann überlegte er sich das aber und nickte nur stumm mit dem Kopf. »Tut mir leid«, meinte er nach einigen Minuten. »Too much champagner, you know«, blödelte er. Tatsächlich war ihm die Zurechtweisung aber unangenehm gewesen, sehr unangenehm.
Wilma hatte inzwischen auch Irmi wieder auf den Boden zurückgeholt und den beiden bis auf Weiteres Alkoholverbot erteilt. Damit war die Angelegenheit für alle Beteiligten fürs Erste erledigt, und man konnte sich endlich dem legendären Horsd’œuvre-Konvoi des ›Drei Husaren‹ widmen.
Auf mehreren Wagerln war an Vorspeisen aufgebaut, was die Gourmets aller fünf Kontinente in schwärmende Raserei zu versetzen geeignet war. Es war fantastisch, was die Küche alles aufgeboten hatte, um den Gaumen so richtig in Fahrt zu bringen.
Inzwischen trudelten die ersten Gäste ein, die sich nach dem Ende der Oper oder der zahlreichen Theater auf ein exquisites Dinner freuten. Uwe Kohl kannte die meisten dieser Menschen und war unterwegs, sie persönlich willkommen zu heißen.
Einige Tische neben der fröhlichen Runde um Marianne Kogler hatten inzwischen ein hochgewachsener, patriarchalisch
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