Baltasar Senner 03 - Busspredigt
so etwas?« Wieder wies er auf die Bilder.
Die Frau nahm ein Foto in die Hand und tat so, als berühre sie etwas Schmutziges. »Kenn ich nicht, noch nie gesehen.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen, das ist doch hier ein riesiger Laden.«
»Haben Sie sich schon bei uns umgeschaut?«
Baltasar setzte zu einer Bemerkung an, aber die Frau fuhr fort: »Sehen Sie, wir haben Gläser, Vasen und Schüsseln. Das nennt man Hohlglas. Weil es innen hohl ist, kapiert?«
Er nickte.
»Das Teil auf dem Foto sieht nicht hohl aus, sondern eher flach. Das nennt man Flachglas, eben weil es flach ist, so wie Fensterscheiben. Und Flachglas führen wir nicht. Grüß Gott.«
Sie gab ihm die Bilder zurück und beugte sich demonstrativ über ihre Abrechnung, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen.
*
Baltasar war froh, als er endlich wieder draußen war, und atmete ein paarmal tief ein und aus. Für heute hatte er genug erlebt, das reichte für den Rest der Woche. Über Seitenstraßen ging er zurück zu seinem Auto. Als er an der Pfarrkirche Sankt Nikolaus vorbeikam, entschloss er sich zu einem Besuch.
Das Gotteshaus war ein Backsteinbau, erst Ende des neunzehnten Jahrhunderts im Stil gotischer Vorbilder errichtet, nachdem die alte Kirche einem Stadtbrand zum Opfer gefallen war. Der Stolz der Gemeinde war der über 80 Meter hohe Kirchturm, der sogar den Turm des Passauer Stephansdoms überragte. Deshalb lobten Einheimische ihr Wahrzeichen als den wahren »Dom des Bayerischen Waldes«, was Baltasar insgeheim freute, vor allem weil er wusste, wie sehr das Bischof Siebenhaar missfallen musste.
Von innen wirkte die Kirche auf ihn noch mächtiger als von außen. Die Säulen lenkten den Blick in die Höhe gen Himmel, es war wie ein zu Stein gewordenes Lob Gottes. Die Ausstattung war eine Mischung verschiedener Stile, schlichte Holzbänke, im Seitenaltar eine Pietà aus dem 16. Jahrhundert, Marias Gewand bemalt mit blau und rot, eine Christus-Statue aus dem 18. Jahrhundert und ein moderner Mittelaltar.
Baltasar setzte sich in die erste Reihe und ließ die Eindrücke auf sich wirken. Die Unruhe fiel allmählich von ihm ab, seine Gedanken schweiften umher, er entspannte sich. Nach einiger Zeit kam ein Priester aus der Sakristei, betrat den Mittelgang und ging zum Altar.
»Herr Weinberger?« Baltasar hatte den Stadtpfarrer nur einmal bei einer Veranstaltung der Diözese getroffen. Der Mann sah auf.
»Oh, Herr Senner, Sie besuchen uns, das ist aber eine Ehre.«
Baltasar begrüßte ihn. Sie kamen ins Plaudern, natürlich hatte die Nachricht von seinem Unfall auf dem Kirchturm längst die Runde gemacht. Auch der Mord an Anton Graf war ein großes Thema in der Gemeinde.
»Kannten Sie Herrn Graf? Er soll hier aus der Gegend kommen«, meinte Baltasar.
»Auf dem Friedhof liegen seine Eltern, wenn ich mich nicht irre. Ein schönes Familiengrab. Ihm selbst bin ich nie begegnet, was nicht verwunderlich ist, denn die Außengemeinden betreue ich nicht. Der Herr hatte mich in seiner Gnade nach Zwiesel geschickt.«
»Sie meinen einen gewissen Herrn in Passau, vermute ich.«
»Ich sehe, wir verstehen uns. Hatten Sie jüngst mit unserem Bischof Kontakt?«
»Ich hätte ihn gern gesprochen, wegen der Finanzierung der Reparatur. Aber Seine Exzellenz hat immer furchtbar viel zu tun.«
»Ach.«
Baltasar berichtete von seinem Abenteuer mit den Jugendlichen im Stadtpark.
»Ich kenne die Gruppe, die treffen sich mal hier, mal da, an Tankstellen, im Park, sogar am Kirchenvorplatz haben sie sich eine Zeitlang verabredet, von dort habe ich sie aber gleich wieder weggescheucht, ich will nämlich nicht, dass sie die Kirchenbesucher verschrecken.«
»Jedenfalls sind sie auf Dauerparty abonniert. Und einer von ihnen hatte ruckzuck einen Schlagring in der Hand.«
»Ich hätte an Ihrer Stelle die Polizei eingeschaltet. Das sind ja kriminelle Methoden wie die einer amerikanischen Straßengang. Und diese Clique ist bereits durch ihre hohe Gewaltbereitschaft aufgefallen. Ich habe gehört, dass einige von den Jungs schon mehrmals in Schlägereien verwickelt waren.«
»Hat noch niemand versucht, mal mit ihnen zu reden? Oder mit den Eltern?«
»Wo denken Sie hin? Es gab Anzeigen wegen Körperverletzung, Ruhestörung und Beleidigung, die Polizei hat sie jedes Mal nach Hause gebracht, aber genutzt hat das wenig. Die meisten Eltern sind schlicht überfordert. Und ich als Pfarrer kann nichts tun, die jungen Leute gehen heute nicht mehr in die Kirche, und sie
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