Baltasar Senner 03 - Busspredigt
sind taub für alles, was Erwachsene ihnen sagen.«
»Und wo haben sie das Geld für Bier und Schlagringe und Chips her, wenn sie nicht arbeiten? Von ihren Eltern?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht drehen sie krumme Dinger, vielleicht auch nicht. Sie gehen zum Teil ja noch zur Schule.«
»Gehören sie denn zu Ihrer Gemeinde?«
»Die meisten waren früher bei mir Firmlinge. Ich hatte sie als nette Kinder in Erinnerung. Aber wenn sie größer werden … Sie hängen einfach herum, sind arbeitslos, fangen schon mittags an zu trinken … Es ist traurig.«
Baltasar beschrieb den Angreifer mit der Tätowierung. »Kennen Sie den?«
Weinberger schüttelte den Kopf. »Sagt mir nichts. Aber wenn die jungen Menschen ihr Äußeres extrem verändern, sich Farbe ins Gesicht malen oder sich Ringe in die Haut stechen, dazu noch ihre gruselige Aufmachung – das ist wie eine Verkleidung, bei denen ist das ganze Jahr Halloween.«
»Ein einziges Mädchen war mit dabei, kurze Haare und Piercings, die hat schließlich ihre Freunde beschwichtigen können und die Situation entschärft.«
»Das Mädchen kenne ich, glaube ich, mir fällt bloß der Name nicht ein. Sie hat mich sogar gegrüßt, als ich sie vor Kurzem getroffen habe. Das will schon was heißen heutzutage. Ihre Eltern haben früher im Kirchenchor gesungen und gehen noch heute regelmäßig zur Messe.«
»Und die Namen der anderen?«
»Ich müsste die Gesichter sehen, dann könnte ich Ihnen weiterhelfen. Wenn Sie es für eine Anzeige brauchen, kann ich mich erkundigen. So groß ist Zwiesel auch wieder nicht.«
»Nein danke, ich werde nicht zur Polizei gehen. Es interessiert mich nur persönlich, ist aber nicht so wichtig.«
13
D ie Messe am Sonntagvormittag sollte die große Spendengala werden. In der Zeitung war der Termin als »besondere Gemeindefeier« angekündigt worden. Baltasar hatte die Kirche zu diesem Zweck herausgeputzt, über den Mittelgang führte ein roter Teppich bis zum Altar, zusätzliche Vasen mit Glockenblumen schmückten die Seitengänge, am Eingang grüßten Girlanden die Besucher. Er hatte die doppelte Anzahl von Ministranten eingeteilt und ihnen eingeschärft, bloß kein griesgrämiges Gesicht zu machen.
Die Kirche war zu zwei Dritteln gefüllt, Baltasar hatte sich mehr erhofft. Der Bürgermeister saß in der ersten Reihe neben dem Sparkassendirektor, weiter hinten Metzger Hollerbach mit seiner Frau, ansonsten die üblichen Verdächtigen aus dem Dorf.
Als besonderen Effekt zum Auftakt hatte Baltasar neben dem Altar eine Stereoanlage aufgestellt. Er blieb ganz ruhig vor dem Altar stehen und wartete, bis das Getuschel, Niesen und Husten abebbte. Noch immer machte er keine Bewegung, sondern blickte freundlich in die Menge. Nun hatte er die Aufmerksamkeit, die er brauchte. Alle Blicke richteten sich auf ihn, einige reckten die Hälse aus Sorge, etwas zu verpassen.
Baltasars Kunst bestand nun darin, diese Spannung noch einige Momente aufrechtzuerhalten. Denn ob Taufe, Beerdigung oder Hochzeit: Dies war das Geheimnis einer erfolgreichen Inszenierung, die jeder Pfarrer beherrschen sollte. Das Herunterleiern des Standardprogramms aus Gebeten, Predigt und Liedern warf heute niemanden mehr um, lieber blieb man länger im Bett oder vertrieb sich die Zeit bis zum Mittagessen mit Fernsehen oder Frühschoppen. Auch wenn es seine Kollegen nicht gerne hörten, wenn es so unumwunden ausgesprochen wurde: Es war immer Theater dabei, der Altarbereich glich einer Bühne. Sollte man die Gesetze erfolgreicher Aufführungen ignorieren, nur weil man für die katholische Kirche arbeitete? Jede Messe folgte den dramaturgischen Regeln von Einleitung, Höhepunkt und Schluss – und der Priester fungierte als Schauspieler in einem Ein-Mann-Stück. Oder war der Gottesdienst doch eher ein Musical, in Anbetracht der vielen Gesangseinlagen?
Baltasar ging langsam zu der Stereoanlage und drückte auf Start. Er zählte leise bis fünf und schaltete dann das Gerät ein.
Glockengeläut ertönte. Es war das Läuten der Dicken Martha, erbärmlich im Vergleich zum Original. Nach zwei Minuten drehte Baltasar den Ton ab und trat vor.
Er hielt eine Ansprache, die nicht zur Liturgie gehörte. Er erklärte, warum er auf Tonkonserven ausweichen musste, wie traurig es sei, dass die Glocken der Gemeinde verstummt waren, er sprach von der Aufgabe, den Klang wieder zum Leben zu erwecken, und dass dazu die tätige Mithilfe jedes einzelnen Gemeindemitglieds gefordert sei. Er schloss mit dem
Weitere Kostenlose Bücher