Balthazar: Roman (German Edition)
Balthazar ging zu ihrer Lampe, die inzwischen das Zimmer wieder in ein warmes Licht getaucht hatte, und knipste sie aus. Sofort verbreitete sich Dunkelheit, die nur durch Biancas schwaches, aquamarinfarbenes Schimmern erhellt wurde.
»Wartet mal. Versuchen wir etwa, sie dazu zu bringen , hereinzukommen? Ist das wirklich ein guter Plan?«
»Sie werden sowieso kommen«, sagte Balthazar. »Also besser jetzt, wo wir darauf vorbereitet sind, als später, wenn wir arglos sind.«
Das erschien vernünftig, auch wenn es erschreckend war, und Skye nickte langsam. »Wir sollten die Sache hinter uns bringen, ehe … ehe meine Eltern nach Hause kommen. Ich will nicht, dass sie mitten in das hier hineinplatzen.«
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Bianca. Sie verblasste und wurde immer durchscheinender, und das Licht, das von ihr ausging, war nun nur noch ein schwaches Wabern. »Balthazar ist ja da, falls ich versage.«
War Bianca also ihre vorderste Verteidigungslinie? Was genau hatten Balthazar und sie vor?
Der letzte Rest des blaugrünen Schimmers verschwand. Skye wusste zwar, dass Bianca noch immer im Raum war, aber jetzt war sie unsichtbar und still. Der Mondschein, der auf den Schnee fiel, warf genug Licht durchs Fenster, sodass sie die Umrisse von Balthazars starkem, beruhigendem Körper erkennen konnte. Sie machte einen Schritt auf ihn zu, denn sie suchte nach Sicherheit und nach Trost. Doch er blieb regungslos stehen.
Skyes Elternhaus war ihr nie so still vorgekommen. Zwar wusste Skye, dass außer ihr noch zwei andere Leute im Zimmer waren, aber keiner der beiden atmete. Es wehte kein Wind, und so fehlte sogar das übliche Rauschen der nächtlichen Brise in den Bäumen. Sie war von vollkommener Stille umgeben.
Und so konnte Skye im Stockwerk unter ihnen ein schwaches Knarren hören, dann ein schabendes Geräusch von Metall auf Metall. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und ihr Atem wurde flach, als sie das leise Quietschen der Hintertür hörte, die aufgedrückt wurde.
Was früher geschah …
(Erster Einschub)
Trenton, New Jersey
29. Dezember 1776
In all seinen vielen Jahren in Neuengland hatte Balthazar noch keinen Winter erlebt, der so trostlos gewesen war wie dieser. Der Schnee lag über einen halben Meter hoch, und auch noch Wochen, nachdem er gefallen war, war er weich und blendend weiß. Die Sonne hatte nicht genügend Wärme gespendet, um ihn zum Schmelzen zu bringen, egal für wie kurze Zeit, sodass er danach wieder zu Eis hätte gefrieren können. Er erstickte alle Geräusche und ließ das Gebiet seltsam unvertraut wirken. Straßen und Städte, die Balthazar seit über einem Jahrhundert kannte, waren ihm nun mit einem Mal fremd.
Redgrave verabscheute Schnee. Blutstropfen waren auf ihm ebenso leicht zu sehen wie die Fußspuren, die er selber hinterließ.
»Und trotzdem ist nichts so gut fürs Geschäft wie ein Krieg«, bemerkte Redgrave zum tausendsten Mal in diesem Winter. Er saß vor einem Feuer im kleinen Gasthaus, in dem sie sich eingemietet hatten. Aufgrund des harschen Wetters und der Kampfhandlungen in der Nähe waren Redgrave und sein Clan die einzigen Gäste. »Man kann sich niemals so mühelos den Bauch vollschlagen wie zu Kriegszeiten, das kann ich dir versichern, mein kleiner Liebling.«
Redgraves lange Finger streichelten Charitys blonde Locken, als wäre das Mädchen seine Hauskatze. Balthazar drehte sich der Magen um; ihm wurde noch immer schlecht, wenn er zusehen musste, wie Redgrave seine kleine Schwester auf diese Weise berührte, obwohl Charity nach beinahe anderthalb Jahrhunderten wenigstens nicht mehr zusammenzuckte.
»Wir sollten nach Süden ziehen«, sagte Constantia und bettete ihren Kopf an Balthazars Brust. Er widerstand dem Impuls, sie wegzustoßen, denn er wusste, dass er damit nur kurzfristig Erfolg haben würde. Außerdem sorgte Widerstand stets für mehr Schwierigkeiten, als es die Sache wert war. Constantias Kleid war nach der neusten Mode geschneidert; es hatte breite Reifröcke und war mit Spitzen besetzt. Constantia selbst hatte sich sogar die Haare gepudert. In dieser bescheidenen Gaststube mit den abgestoßenen Holzbänken und der schlichten, steinernen Feuerstelle wirkte sie so fehl am Platz wie ein Smaragd zwischen lauter Kieselsteinen im Fluss. »Washington ist erst mal erledigt, da bin ich mir ganz sicher. Wir müssen näher an die Front, wenn wir auch weiterhin so fürstlich speisen wollen.«
»Na, bist du bereit, ein bisschen mehr von der Welt zu sehen?«,
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