Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Balthazar: Roman (German Edition)

Balthazar: Roman (German Edition)

Titel: Balthazar: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gray
Vom Netzwerk:
hauchte Redgrave Charity verführerisch ins Ohr, und Balthazars Schwester nickte gehorsam.
    Lorenzos wölfisches Grinsen wurde breiter, als die Bedienung hereinkam und einen großen Krug mit Bier für sie alle brachte. Das Mädchen war jung und hübsch mit kohlrabenschwarzen Locken und vollen, rosigen Wangen. Aber sie war keine Dirne, den männlichen Gästen in der oberen Etage zu Diensten, um im Gegenzug verstohlen ein paar Münzen auf der Hintertreppe zugesteckt zu bekommen. Vielleicht war sie die Nichte des Wirtes oder die Tochter einer seiner Freunde, dachte Balthazar. Sie war eine junge Frau, die hier war, um in einem strengen Winter ein bisschen Extrageld für die Familie dazuzuverdienen, und sie war attraktiv genug, um Gäste aufzuheitern, die ansonsten vielleicht wegen der kalten Räume oder der kargen Mahlzeit gemurrt hätten.
    Aber das bedeutete auch, dass sie hübsch genug war, um Grausamkeit herauszufordern. Balthazar hatte dieses wilde Leuchten in Lorenzos Augen schon früher gesehen. Es bedeutete Schmerz und Tod und zusammengekrümmte Leiber von Frauen, die wie alte Lumpen in die Ecke geworfen worden waren.
    »Wünschen Sie etwas zum Abendbrot?«, fragte die Serviererin und wirkte nervöser, als sie es hätte sein sollen. Sie merkte, dass etwas an dieser Gruppe nicht stimmte; sie war sensibler als die meisten, dachte Balthazar. Doch er konnte sie deswegen nur bemitleiden. Es wäre einfacher für sie, sie würde nichts von dem, was käme, ahnen. Das Mädchen fuhr fort: »Wir haben heute einen leckeren Eintopf. Der macht richtig satt.«
    Lorenzo strich ihr mit einem Finger über den Unterarm, als sie ihm Bier nachschenkte. Sie zuckte zurück, verschüttete Bier auf dem Boden und brachte die anderen Vampire zum Lachen. »Wir werden uns bald schon zur Genüge satt essen«, sagte Lorenzo, woraufhin das Gelächter noch anschwoll. »Und du, mein Schatz – ich wünschte, ich könnte ein Gedicht über dich schreiben.«
    O Gott . Wenn er eines seiner unsäglichen Gedichte schrieb, waren seine Morde besonders abscheulich. Balthazar wünschte, ihm wären die Verletzlichkeit und die Unschuld im Gesicht der jungen Bedienung nicht aufgefallen. Dann hätte er nicht solches Mitleid mit ihr empfunden. Er versuchte schon so lange, jedes Mitgefühl in sich im Keim zu ersticken, denn das würde sein bitteres Dasein etwas weniger grausam machen, doch bislang hatte er dabei keinen Erfolg gehabt.
    »Wie heißt du?«, fragte Lorenzo. »Ich muss doch deinen Namen kennen, verstehst du? Um herauszufinden, was sich darauf reimt.«
    Das arme Mädchen sehnte sich offenbar danach, einfach zu verschwinden, aber da sie das nicht konnte, antwortete sie: »Ich heiße Martha, Sir.«
    »Martha?« Lorenzo kicherte. »Was um alles in der Welt soll sich denn darauf reimen?« Sein spanischer Akzent machte aus dem th ein einfaches t .
    »Danke sehr, Sir. Guten Abend.« Die Kellnerin machte einen raschen Knicks und huschte davon. Zweifellos wohnte sie in einem Zimmer im Gasthaus. Zweifellos würde Lorenzo sie finden.
    Du könntest sie ebenfalls finden und warnen .
    Balthazar presste seine Augen fest zusammen und versuchte, die Stimme des Mitleids in seinem Herzen zum Schweigen zu bringen.
    Während der letzten 136 Jahre war er einfach in Redgraves Kielwasser mitgeschwommen. Zwar war er nie so tief gesunken wie Redgrave, der unschuldige Menschen aus purem Vergnügen getötet und dann ihr Blut getrunken hatte. Aber an den stolzen, puritanischen Jungen, der er zu Lebzeiten gewesen war, erinnerte nicht mehr viel. Wenn er auf Menschen stieß, die den Tod verdienten – gleichgültig, ob sie nun Räuber, Söldner oder Frauenschänder waren –, dann machte Balthazar ihrem Leben mit allem rechtschaffenen Rachedurst, den er aufbringen konnte, ein Ende. Tief in seinem Inneren wusste er jedoch, dass das Vergnügen, das er beim Bluttrinken empfand, kein bisschen rechtschaffen war. Es war rein fleischlicher Natur. Wenn sie in Kriegszeiten auf tödlich Verwundete stießen, dann beförderte er sie rasch ins Leben nach dem Tod und versuchte, sich einzureden, dass es für sie beide am besten so wäre. Ließ sich niemand finden, der moralisch verdorben genug war oder ohnehin im Sterben lag, dann griff Balthazar auf Tiere zurück, die er im Wald erlegte, wie Redgrave es ihm beigebracht hatte. Mehr Tugendhaftigkeit konnte er jedoch nicht für sich beanspruchen, denn er lebte unter Mördern und machte keine Anstalten, sie aufzuhalten.
    Zuerst hatte er seine Gründe

Weitere Kostenlose Bücher