Baltrumer Bitter (German Edition)
Kommissar,
dem offensichtlich gar nicht klar war, wen er vor sich hatte, hatte er erst mal
kräftig den Wind aus den Segeln genommen. Der meinte tatsächlich, er könnte
hier ankommen, ein paar dämliche Fragen stellen und schon würde er, Enno
Lohmann, aus dem Nähkästchen plaudern. Lohmann lachte auf. Da müsste der schon
andere Saiten aufziehen. Obwohl – die Drohung mit der Bildzeitung war
schon nicht ohne. »Mordseeinsel«. Klang ja fürchterlich. Das konnte sich die
Insel, deren Bürgermeister er war, nicht erlauben. Da würde immer ein
schlechter Beigeschmack zurückbleiben. Dabei war er gar nicht schuld an der
ganzen Misere. Nicht er, sondern der Mörder! Aber es war nicht seine Aufgabe,
den Mann zu fangen, sondern die dieses unfähigen Polizisten, der nicht zum
ersten Mal versuchte, ihm die Hölle heiß zu machen. Ziemlich schnell
aufbrausend, der Mann! Immerhin hatte er ihm einen guten Tipp mit auf den Weg
gegeben.
Er nahm den Hörer zur Hand: »Wybrands? Wo sind Sie? Auf der
Insel? Das passt gut. Wir sehen uns in einer Viertelstunde in meinem Büro.« Ab
und zu musste man selbst guten Geschäftsfreunden zeigen, wer der Chef im Ring
war. Der Mann würde nicht wagen, seine Anordnung zu boykottieren.
Nach dem Gespräch würde er essen gehen und dann noch ein
Stündchen auf die Buhne. Der Eimer mit den Fischen hatte sich nicht wieder angefunden.
Also würde er erneut sein Glück versuchen.
Lohmann öffnete die Vitrine, in der das Teeservice mit der
ostfriesischen Rose für die bei den Gästen immer so beliebten Ehrungen stand.
Zehn Jahre Inselurlaub. Zwanzig Jahre. Einige verbrachten sogar schon vierzig
Jahre ihren Urlaub auf Baltrum. Das musste mit Tee begossen werden. Dann wurde
noch eines dieser geschmackvollen Präsente überreicht, und er durfte sich die
ermüdenden Erlebnisberichte und überflüssigen Ratschläge der Menschen anhören,
die mit stolzgeschwellter Brust in seinem Büro saßen. Die letzten Male hatte er
die Angelegenheit seiner Sekretärin überlassen. Natürlich mit den passenden
salbungsvollen Worten. Der Bürgermeister ist leider verhindert, bla, bla. Sie
machte das schon.
Er hangelte einen Flachmann aus dem Regal. Als er den Deckel
abschraubte, schlug ihm der Duft eines alten schottischen Whiskys entgegen. Ein
Präsent eines Elektrikers, den er für einige Aufträge hatte gewinnen können. Genussvoll
nahm er einen tiefen Schluck, setzte sich wieder in seinen Sessel und wartete
auf Wybrands.
*
Margot Steenken wurde immer nervöser. Wo war Arnold? Er war
noch einmal kurz ins Büro gefahren, aber sein Dienst war lange vorbei.
Natürlich hatte er flexible Arbeitszeiten, und es konnte auch mal sein, dass
sich die Kollegen auf ein Bier zusammensetzten, doch das Abendessen hatte er
bisher nur in seltenen Ausnahmefällen versäumt.
Es klopfte. Erst leise, dann noch einmal etwas heftiger.
Michael Röders Kopf tauchte vor der Scheibe der Küchentür auf. Dahinter ein
weiteres Gesicht.
»Kommt rein. Was kann ich für euch tun?«, fragte sie den
Inselpolizisten erstaunt.
»Darf ich vorstellen? Klaus Kockwitz. Polizei Aurich. Wir
müssen dir mitteilen, dass dein Gast, der Herr Visser, tot im Tarzanwald
aufgefunden worden ist. Oder hat dir Frau Ufken schon davon erzählt? Sie hat
ihn identifizieren müssen.«
Margot wich erschrocken zurück. »Tot? Das darf doch wohl nicht
wahr sein. Wisst ihr schon …«
Michael Röder schüttelte den Kopf. »Wir sammeln gerade alles an
Informationen, was wir finden können. Darum sind wir hier.«
»Aber wir haben doch heute Nachmittag schon mit dir
gesprochen«, erwiderte Margot erstaunt. »Ich glaube nicht, dass mir zu diesem
Pärchen noch mehr einfällt.«
»Wo waren Sie gestern Abend und gestern Nacht, Frau Steenken?«
Fassungslos schaute sie den Mann an, der sich bis jetzt im
Hintergrund gehalten hatte. »Ich? Zu Hause natürlich. Was soll diese Frage?«
»Beruhige dich, Margot. Mein Kollege hat das nicht böse
gemeint. Er will nur wissen, ob dir gestern nach diesem Unwetter nicht doch was
aufgefallen ist, was dir im Nachhinein ungewöhnlich erschienen ist.«
Sie überlegte. »Nein, eigentlich nicht. Aber doch, warte mal.
Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe, aber als Frau Ufken und Herr
Visser oben auf ihrem Zimmer waren, da hatte ich das Gefühl, dass dort eine dritte
Stimme zu hören war. Habe das Geräusch dann auf einen laufenden Fernseher
geschoben. Aber mehr – nein, mehr kann ich nicht sagen.«
»Erzähl mir noch mal. Wie
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