Baltrumer Bitter (German Edition)
war das genau gestern Abend?«, fragte
Röder behutsam.
»Also, der Sturm war vorbei und Arnold, Hilda und ich waren im
Garten und haben uns die traurigen Überreste unserer Pappel angesehen. Da kam
Herr Visser völlig verstört und nass nach Hause.«
»Hat er geblutet? Denk genau nach«, unterbrach er sie.
»Nein. Nicht, dass ich wüsste. Er ist dann nach oben gegangen
und kam nach einiger Zeit wieder herunter. Da allerdings hatte ich das Gefühl,
sein Gesicht habe sich verändert. Es sah geschwollen aus. Fast so, als würde
sich ein Bluterguss entwickeln. Ich habe das allerdings auf die Begegnung mit
dem Tornado geschoben. Nachdem er uns geholfen hat, hat er sich mit meinem Mann
über unser Insulanerhaus unterhalten. Du weißt schon, das, was leer steht. Im
Ostdorf. Er hatte wohl Interesse daran, es für seine Freundin und sich zu kaufen.
Die beiden haben dann noch einen getrunken und Frank Visser ist weggegangen«,
erzählte Margot. »Aber das habe ich dir vorhin bereits erzählt.«
»Und es gab nichts, was darauf hätte hinweisen können, dass er
gar nicht die Absicht hatte, wiederzukommen?«, meldete sich Klaus Kockwitz ein
zweites Mal.
»Nein. Dann hätte ich gefragt. Ist doch wichtig für die
Vermieterin, zu wissen, was in ihrem Haus vorgeht«, antwortete sie.
»Wie hat Ihr Mann auf die Frage nach dem Insulanerhaus
reagiert?«
»Er hat sich das Ganze angehört und versprochen, sich die Sache
zu überlegen. Das war’s.« Margot wurde immer unsicherer. Was steckte hinter den
Fragen, die dieser Kockwitz da auf sie abschoss?
»Wussten Sie, dass die beiden im Auftrag des Bauunternehmers
Wybrands auf der Insel unterwegs waren?« Der Kommissar schaute sie unverwandt
an. Margot fühlte sich wie die Fliege im Spinnennetz am Schlafzimmerfenster,
die sie erst gestern aus ihrer lebensgefährlichen Lage befreit hatte. Das
kleine Insekt hatte hilflos versucht, sich loszustrampeln. Doch je mehr es gestrampelt
hatte, desto dichter hatte sich das Netz darumgeschlungen.
»Nein, das haben die mir nicht erzählt. Sie sagten, dass sie
ein paar Tage Urlaub machen wollten.« Hatten die beiden das wirklich gesagt?
Oder bildete sie sich das nur ein? Weil es so üblich war, wenn ein junges Paar
im Sommer auf die Insel kam? Und noch dazu zusammen eine Wohnung bezog? Sie
wusste es nicht mehr genau.
»Wo finden wir Ihren Mann? Ist er zu Hause? Wo ist ihre
Tochter?«
»Lassen Sie meine Tochter aus dem Spiel.« Sie wandte sich
aufgebracht an den Inselpolizisten. »Michael, es wäre nett, wenn du deinem
Kollegen erklären würdest, warum ich meine Tochter aus der Geschichte
rauslassen will. Sie hat bei dem Sturm schon genug mitgemacht und ist noch
völlig aufgelöst.«
»Trotzdem würden wir gerne wissen, wo sie sich aufhält. Das
Gleiche gilt für Ihren Mann.«
Margot sah, wie Michael hilflos den Arm hob, fast als ob er den
Diensteifer seines Kollegen körperlich stoppen wollte. Doch dann sagte er nur:
»Danke, Margot. Sagst du Arnold bitte, er möchte sich bei mir melden, wenn er
nach Hause kommt? Schöne Grüße an Hilda.« Er wandte sich an Kockwitz und sagte
knapp: »Komm. Es reicht. Wir haben noch mehr zu tun.«
Fast schob Röder den Mann zur Küchentür. Margot atmete
erleichtert auf, als die beiden aus der Küche verschwunden waren. Aber eine
Frage blieb: Wo war Arnold? Warum hatte er sich nicht abgemeldet? Nicht, dass
sie wie eine überbesorgte Glucke stets wissen musste, wo er sich aufhielt. Das
war noch nie ein Charakterzug von ihr gewesen. Aber es hatte einen Toten
gegeben, und das machte die Sache unheimlich.
Sie räumte Aufschnitt und Käse wieder in den Kühlschrank. Wer
weiß, wann Arnold kommt, dachte sie verstimmt. Denn eine zweite Frage hätte sie
gerne möglichst schnell beantwortet gehabt. Wo war ihr Mann gestern Abend so
spät noch gewesen? Bei Thorsten, der angeblich von nichts wusste? Und – hatte
Arnold gewusst, dass Ufken und Visser für Wybrands arbeiteten?
Über sich hörte sie ein
leichtes Poltern. Hilda hatte sich gleich nach dem Abendbrot in ihr Zimmer
zurückgezogen. Sie würde wie üblich eine ihrer geliebten Vorabendserien schauen
und dabei vor Vergnügen ihre uralte Stoffpuppe mit dem hölzernen Kopf in die
Luft werfen. Manchmal klappte das Auffangen nicht so ganz, dann landete Amalie
mit wehenden Zöpfen auf dem Boden.
Hilda. Ein weiterer Punkt, der ihr Sorgen bereitete. Irgendetwas
stimmte nicht. Hilda schien völlig aus dem Gleichgewicht zu sein. Ihre Finger
hatten gezittert, als sie
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