Baltrumer Bitter (German Edition)
sich dann gegen Kneifen. Er würde auf Notwehr
plädieren. Das glaubte ihm bei diesem Bürgermeister jeder!
Als er aufstand, wurde sein Platz sofort wieder besetzt. Zu
dieser Tageszeit kamen die Urlauber vom Strand. Fröhliches Kindergeschrei
hallte über den Platz.
Eine abgrundtiefe Traurigkeit drängte sich in sein Herz. Wie
gerne hätte er Frank damals aufwachsen sehen. Hätte ihn im Bollerwagen in der Gegend
herumziehen, ihm das Fahrradfahren beibringen können. Mit ihm zelten gehen.
Eben alles, was ein Vater mit seinem Sohn so machte …
Er stieg die Stufen vor der Wache hoch und klopfte an die Tür.
Verschlossen. Er wunderte sich. Hatte er nicht …? Dann fiel es ihm ein.
Hotel Sonnenstrand hatte der Kommissar gesagt. Dort solle er sich
melden.
Die Terrasse des Hotels lag verlassen. Stühle und Tische
standen gestapelt in der Ecke, davor lag ein großer Haufen Dachziegelsplitter.
Ein kleines Fenster war mit Pappe vernagelt.
»Kann ich helfen?« Henning Ahlers, der Besitzer des Hotels,
stand in der Eingangstür und schaute Wybrands misstrauisch an.
»Ich habe einen Termin bei der Polizei. Die Herren sagten mir,
dass sie hier anzutreffen seien«, erwiderte er. »Sieht ja übel aus hier. Wenn
Sie Hilfe brauchen – meine Leute …«
Er erwartete keine Antwort und bekam auch keine. Im Jahr zuvor
hatte er sich mit Ahlers einmal kräftig gezofft. Damals war es um eine
Baumfäll-Aktion im Rahmen eines Neubauprojektes gegangen. Der Hotelier hatte
ihn auf offener Straße übel beschimpft.
Ahlers machte einen Schritt zur Seite. »Geradeaus, dann erste
Tür links.«
Auf dem Flur kam ihm einer der Uniformierten entgegen.
»Wybrands mein Name. Ich soll mich hier melden.«
»Luiken. Kommen Sie rein. Das ist Hauptkommissar Kleemann. Er
würde sich ebenfalls gerne mit Ihnen unterhalten. Bitte setzen Sie sich.«
Wybrands schaute sich um. In diesem Raum hatte bestimmt schon
die eine oder andere Feier stattgefunden. Doch im Moment stand die kleine Theke
ungenutzt in der Ecke. An einem der Tische saß eine junge Frau vor einem
Laptop. Sie blickte nur kurz auf und vertiefte sich sogleich wieder in ihre
Arbeit. Zwei andere Männer unterhielten sich leise.
Wybrands bückte sich, stellte seine Aktentasche ab und setzte
sich zu den beiden Kommissaren. Sein Blick fiel auf die Pinnwand. Rasch wandte
er sich wieder ab. Genaueres Hinsehen hätte er nicht ertragen.
Er wartete auf den Angriff. Doch nichts dergleichen geschah.
Freundlich beugte sich Luiken zu ihm herüber und sprach sein Beileid aus. Dann
kam der Beamte zur Sache. »Bitte sagen Sie uns, was Herr Visser und Frau Ufken
auf der Insel wollten. Sie waren in Ihrem Auftrag hier, oder?«
Wybrands berichtete den beiden Männern in groben Zügen, dass
die zwei mit einem Auftrag unterwegs gewesen waren, der eigentlich keiner war.
Dass er nur die Verhandlungsfähigkeit und den Einsatzwillen der beiden hatte testen
wollen. Dass das Projekt »Wellnesshotel« inzwischen auch bei ihm größere
Aufmerksamkeit fand, nicht zuletzt durch sein Gespräch mit Georg Hanefeld und
Ulfert Pallmann, verschwieg er. Nur keine schlafenden Hunde wecken. Das Breittreten
dieser Entwicklung würde zur Aufklärung von Franks Tod nichts Wesentliches
beitragen.
»Das ist alles?« Der Mann,
den Luiken als seinen Auricher Kollegen vorgestellt hatte, beugte sich mit hochgezogenen
Brauen über den Tisch. »Ein Testlauf ohne jeglichen realistischen Hintergrund?
Sind Sie sicher, dass wir Ihnen das abnehmen sollen? Und das haben Ihre Mitarbeiter
so überhaupt nicht gemerkt? Bravo. Hervorragende schauspielerische Leistung
Ihrerseits!«
»Soll ich mich jetzt für das Kompliment bedanken?«, fragte
Wybrands trotzig. So langsam wurde ihm mulmig. Kleemann hatte so gar nichts von
Luikens verbindlicher Freundlichkeit.
»Das können Sie halten, wie Sie wollen. Trotzdem – nehmen
Sie es mir nicht übel, wenn ich Ihnen die Geschichte nicht ganz abnehme. Wann
haben Sie mit Ihrem Sohn telefoniert und was hat er Ihnen gesagt?«
Wybrands berichtete noch einmal, worüber er sich mit Frank
unterhalten hatte. »Drei sind immer einer zu viel, wissen Sie? Der Auftritt der
Freundin meiner Mitarbeiterin hat meinen Sohn total genervt. Die muss wohl
extrem eifersüchtig gewesen sein. Und das völlig ohne Grund. Mein Sohn wusste
schließlich, dass Klara lesbisch ist. So hat er es mir zumindest gesagt. Und
ich kann mir nicht vorstellen, dass er kämpft, wenn er weiß, dass die Schlacht
sowieso schon verloren ist. Also ich
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