Baltrumer Bitter (German Edition)
Steenken hat nach eigener Aussage keine Ahnung, wo sich ihr
Mann aufhält. Aber ich hatte das Gefühl, dass sie sich große Sorgen macht. Ich
habe ihr dringend geraten, sich sofort zu melden, wenn er wieder auftaucht. Sie
wollte ihrerseits ihre Freunde und Bekannten abtelefonieren.«
»Da dürfte sie eine Menge zu tun haben«, warf Röder lächelnd
ein.
»So ersparen wir uns
zumindest diese Arbeit. Und glaubt mir – der wird sich auf der Stelle bei uns
melden. So aufgewühlt wie die Frau war …« Kleemann beschrieb, wie aufgebracht
er Margot Steenken vorgefunden hatte. Auch mit Klara Ufken hatte er noch ein
paar Worte gewechselt, war aber ziemlich schnell wieder gegangen, als er
gemerkt hatte, wie fertig die junge Frau war. »Ich habe sie für morgen früh
hierher bestellt. Im jetzigen Zustand ist die doch zu nichts mehr zu
gebrauchen. Ich übrigens auch bald nicht mehr. Ich bin echt geschafft. Die beiden
Männer, die wir am dringendsten sprechen müssen, sind wie vom Erdboden verschluckt.
Aber eine Suche wäre zum jetzigen Zeitpunkt tatsächlich ziemlich sinnlos. Wir
werden morgen in aller Frühe den Flugplatzbetreiber und die Reederei
informieren. Durchs Watt werden sie kaum laufen – zumindest Wybrands nicht –
und ich bin realistischer Hoffnung, dass wir die beiden morgen erwischen.«
»Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass
Steenken seine Familie einfach so alleinlässt. Dafür ist der einfach nicht der
Typ«, sagte Röder. »Hast du Margot gesagt, dass sie uns jederzeit anrufen kann,
auch nachts?«
»Natürlich, lieber Michael. Das ist das Mindeste, was ich tun
konnte. Außerdem hilft es uns weiter, wenn sie sich meldet«, beruhigte Kleemann
seinen Kollegen.
*
Vorsichtig öffnete Arnold Steenken erst das rechte, dann das
linke Auge, nur um beide gleich darauf wieder zu schließen. Unangenehm grell
strahlte ihn das Licht einer Halogenlampe an. Er wollte seinen Arm heben, seine
Augen mit der Hand vor dem hellen Licht schützen, doch er konnte ihn nicht
bewegen. Angst setzte schockartig ein. Wo war er? Wer hatte ihn auf diesem
Stuhl angebunden und vor allen Dingen: warum?
»Du kannst die Augen aufmachen. Ich habe die Lampe weggedreht«,
hörte er eine ihm wohlbekannte Stimme. Langsam, ganz langsam fiel ihm wieder
ein, wo er sich befand. In Hanefelds Gartenhaus. Und ihm fiel ein, was er in
der Sekunde, bevor er niedergeschlagen wurde, gesehen hatte. Das Bild, das ihn
bis ins Mark erschüttert hatte.
Vorsichtig blickte er auf den Boden, an die Stelle, wo das Bild
gelegen hatte. Nichts war zu sehen. Nur der abgeschabte, grün-beige PVC-Boden
leuchtete ihm entgegen. War alles nur seiner Fantasie entsprungen?
»Neugierig bist du gar nicht, oder?«
Arnolds Nerven waren bis aufs Äußerste gespannt. Tausend Fragen
wirbelten durch seinen Kopf. Allen voran: Wie kann ich mich von diesem Stuhl
befreien und den Kerl umbringen? Gleichzeitig war ihm klar, dass es nur von
Hanefelds Wohlwollen abhing, ob er hier noch einigermaßen wohlbehalten wieder
rauskäme. Er versuchte Ruhe in seine Stimme zu legen. »Georg, was soll das
hier? Warum fesselst du mich? Komm, es reicht mit dem Spaß. Ich werde auch nie
wieder in dein Häuschen eindringen, ohne dich zu fragen.«
»Nein, ich weiß. Das wirst du nie wieder. Und du wirst auch
kein Bürgermeister werden. Du mit deinen verschrobenen alten Ansichten. Du
wirst nicht mein Vorgesetzter werden! Aber das nur so nebenbei …«
Arnold wurde es schlecht. In Georgs Gesicht ließ keine Regung
auf einen Spaß schließen. Stattdessen sah er Verzweiflung und Hass. Sogar Hilflosigkeit
meinte er in Georgs Zügen zu erkennen. Wie um alles in der Welt sollte er zu
dem Mann durchdringen? Was hatte das hier alles mit Politik zu tun?
»Georg«, versuchte er es erneut, »wir sind schon so lange
Kollegen. Konnten uns alles erzählen. Mach mich los und dann sagst du mir, was
du von mir willst.« Arnold konnte den letzten Satz kaum zu Ende bringen. Angst
und eine immer stärker werdende hilflose Wut schnürten ihm den Hals zu. Aber was
sollte er anderes machen? Ihm versprechen, sich aus der Politik zurückzuziehen?
Heulen? Bei dem Mann auf die Tränendrüse drücken? Würde das helfen? Nein, er
würde nicht weinen. Er merkte nicht, dass ihm die Tränen bereits über die
Wangen liefen.
»Ich liebe sie. Auch wenn du mir niemals zugehört hast. Von
wegen – alles erzählen …!«
Arnold zuckte zusammen. Was meinte Georg damit? War das Bild,
das er gesehen hatte, doch nicht
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