Bamberger Verrat
fassen, bevor sie dir oder Will was antun können.«
»Aber wenn Charly erfährt â¦Â«
»Hör mal zu!« Hanna stellte ihre Tasse mit einer energischen Bewegung auf dem Tisch. »Willst du denn immer weiter Angst haben? Ich ruf jetzt Werner Sinz an. Ich hab seine Handynummer.«
Sie wandte sich von Tanja ab und wählte. Aber auf dem Handy meldete sich nur die Mailbox, und bei der polizeilichen Telefonvermittlung teilte man ihr mit, Herr Erster Hauptkommissar Sinz sei in einer wichtigen Besprechung und überhaupt für Einbrüche nicht zuständig, und man werde sie mit der entsprechenden Beamtin verbinden. Mit ihr machte Hanna aus, dass man sich in einer halben Stunde im Haus am Nonnengraben treffen werde.
Ade, Schreibtisch! Wann sollte sie nur die Referate fertig korrigieren, ganz zu schweigen von der Vorbereitung auf das morgige Seminar?
9
Kunigunde hatte lange überlegt, welche Form sie ihrer Masterarbeit geben sollte. Sie entschloss sich endlich, sie als Biografie ihrer zwei Hauptpersonen â des Verräters und des Verratenen â vor dem Hintergrund der allgemeinen geschichtlichen Entwicklung zu schreiben. Das war für eine wissenschaftliche Untersuchung zwar eher ungewöhnlich, schien ihr aber der Lesbarkeit förderlich, und das hing wohl in erster Linie damit zusammen, dass sie selbst gern Biografien las. Sie hatte zuerst dennoch gezögert, diese Form zu wählen, weil sie aus dem Aktenmaterial nur sehr wenige Nachrichten zur Jugend und zur persönlichen Beziehung von Franz Novak und Hans Kromm hatte.
Aber dann entdeckte sie eine unerwartete Quelle. Sie hatte versucht, mit Hans Kromm zu sprechen, der wegen eines Versicherungsbetrugs im Bamberger Gefängnis saÃ. Der hatte sich zwar geweigert, Kunigunde zu treffen, doch die Sozialarbeiterin, die ihn in der Untersuchungshaft betreute, hatte sie auf ein interessantes Projekt des Kurses »Kreatives Schreiben« an der Bamberger Universität aufmerksam gemacht. Die Studenten hatten sich von Gefangenen, die dazu bereit waren, Episoden aus ihrem Leben berichten lassen und diese dann literarisch bearbeitet.
In der Veröffentlichung, die daraus entstanden war, fanden sich auch drei kleine Skizzen der Germanistikstudentin Julia Mai zu Hans Kromm. Sie erlaubten einen wichtigen Einblick in die seelische Entwicklung der beiden Freunde, und so hatte Kunigunde sie an passender Stelle in ihrer Arbeit zitiert.
Die Gespräche mit den überlebenden Betroffenen des Falls Novak, die sie schon geführt hatte, und die paar, die sie noch geplant hatte, würde sie als Anhang am Ende des Buches einfügen.
Bisher schien ihr das Ganze stimmig, und sie war gespannt, was ihr Professor dazu sagen würde.
Franz Novak wurde am 26.  11.  1931 als Sohn des Schusters Gotthilf Novak und seiner Frau Margarethe im heute polnischen Dorf Gadgen, Kreis Rummelsburg in Pommern, geboren. Seine Mutter starb kurz nach seiner Geburt, und sein sechs Jahre älterer Bruder Wilhelm und er blieben bei ihrem Vater, der wegen eines verkrüppelten Beines im Zweiten Weltkrieg nicht eingezogen wurde.
In unmittelbarer Nachbarschaft wohnte die Familie von Hans Kromm, dessen Vater eine kleine Landwirtschaft besaÃ, während sich die Mutter um die fünf Kinder kümmerte. Hans Kromm und Franz Novak waren von klein auf befreundet.
SKIZZEÂ 1 VON JULIA MAI NACH DEM BERICHT VON HANS KROMM
Es roch nach Harz und warmem Wald. Die langen Kiefernnadeln knisterten unter ihren kleinen Schuhen. Sie liefen um die Wette, aber nur so zum Schein, aus lauter Freude, den Weg zu wissen. Sie fanden ohne Mühe das Tal mit dem Bach. Unten am Abhang kitzelten die langen Gräser ihre nackten Beine.
Am Ufer zogen sie die Schuhe aus â Franz streifte jeweils einen mit dem anderen ab, aber Hans knüpfte sorgsam die Schnürsenkel auf; er konnte erst seit Kurzem eine Schleife binden und war sehr stolz darauf. Sie wateten durch das klare, kalte Wasser und hielten sich an der Hand, um auf den runden Kieseln Halt zu finden. Dann setzten sie sich auf einen der groÃen Findlinge am Rand, baumelten mit den Beinen und warteten darauf, dass die Sonne ihre FüÃe wieder warm leckte. Franz pflückte einen Grashalm.
»Man kann darauf Musik machen, weiÃt du? Hat mir Wilhelm gezeigt.« Sein groÃer Bruder, den alle anderen Willy nannten, war sein Held, sein Abgott. Er las ihm abends vor, er zeigte ihm die
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