Bamberger Verrat
verknittert, groà und klein, ein Lausbub und ein Weiser. Er kam Hanna vage bekannt vor. Hanna nahm das Taschentuch und schnäuzte sich gründlich. Danach war ihr wohler.
»Ich habe letzten Sommer Ihren Vortrag über âºGebäude als Geschichtsdokumenteâ¹ in München gehört und war sehr beeindruckt«, sagte der Mann.
Ach so, daher kannte sie ihn.
»Matthias Stiefler, Universität Bamberg, erinnern Sie sich?«, fragte er. »Ich habe letzte Woche mit Ihrem Doktorvater über Sie gesprochen. Als er erfuhr, dass ich nach Venedig fahre, hat er von Ihnen erzählt. Er ärgert sich, dass er eine seiner besten Schülerinnen verloren hat. Und er ist ziemlich unglücklich darüber, dass Sie das Thema Ihrer Arbeit geändert haben.«
»Ich auch«, sagte Hanna leise.
Stiefler warf ihr einen raschen Seitenblick zu.
»Ich würde Ihnen gern einen Vorschlag machen, wenn Sie hier abkömmlich wären.«
»Abkömmlich?« Hannas stieà ein kurzes, bitteres Lachen aus. »Abkömmlich. Ja, das bin ich.«
Stiefler sah sie an. »Darf ich Sie zu einem Espresso einladen?«
Als Hanna aufstand, fühlte sie erst, wie kalt ihr war. Sie konnte sich nur steif und langsam bewegen. Es war inzwischen fast Mittag. In der kleinen Bar gegenüber der Miracoli-Kirche taute sie langsam wieder auf.
»Haben Sie nach mir gesucht?«
»Nein, nein, das war reiner Zufall. Ich habe in der Kirche zu tun.«
Zufall, na gut. Engel gibt es immer wieder.
Stiefler erzählte ein bisschen über seine Forschungsarbeiten, die ihn nach Venedig geführt hatten. Hanna bemerkte verwundert, dass es sie zu interessieren begann. Doch sie war noch immer nicht fähig, zu sprechen. Wie ein schillernder Ãlfleck auf dem Wasser breitete sich eine runde kleine Stille auf dem Hintergrund von Radiomusik und Gläserklappern zwischen ihnen aus. Hanna starrte in ihre Espressotasse, als sei auf ihrem Grund der Sinn des Lebens verborgen.
»Ich wollte Sie fragen«, begann nach einer Weile ihr persönlicher Deus ex Machina, »ob Sie nicht Lust hätten, nach Bamberg zu kommen. Mit Ihrer Arbeit über Gebäude als Geschichtsdokumente würden Sie hervorragend in unser Graduiertenkolleg passen. Ich könnte Sie neben Ihrem Doktorvater als Zweitgutachter betreuen, und Sie könnten Ihr Studium mit dem Aufbaustudium Denkmalpflege ergänzen. Und in Bamberg findet man leichter ein Zimmer als in München.«
Und die Kommilitonen würden nicht fragen: »Na, schon zurück aus Venedig?«, dachte Hanna dankbar.
So kam sie wieder nach Bamberg.
Hanna fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Sie hatte die Erinnerungen lange verdrängt; jetzt waren sie wieder da, ungeliebte Gäste, lästig und schmerzhaft. Schluss jetzt! Sie würde sie mit Arbeit verscheuchen, das war doch immer noch das probateste Mittel.
Sie griff nach einem Haargummi, der in der Bleistiftschale auf ihrem Tisch lag, band sich energisch die Haare zu einem Zopf zusammen und langte nach dem ersten Referat, das sie morgen besprechen wollte.
Doch dieser Tag war ihrer Arbeit eindeutig nicht wohlgesonnen. Sie hatte erst drei Arbeiten korrigiert, als es klingelte.
Aus der Sprechanlage drang Tanjas Stimme, verzweifelt schluchzend. Als Hanna das Hoftor geöffnet hatte, kam die magere junge Frau mit Will im Kinderwagen über den Hof, mit flatterndem Schal und verkehrt zugeknöpfter Jacke.
»Was ist denn los, um Himmels willen?«, fragte Hanna und nahm Will auf den Arm, damit Tanja ihre Sachen aus dem Kinderwagen nehmen und ins Haus kommen konnte.
»Diese Arschlöcher haben meine Wohnung zerlegt. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie es da aussieht. Ich hab eine solche ScheiÃangst!«, keuchte Tanja.
»Was? Deine Wohnung zerlegt? Wer hat � Jetzt setz dich erst mal hin und beruhig dich.«
Tanja lieà ihre Jacke auf den Boden fallen und begann dann, Will aus seinem Overall zu schälen. Sie schniefte und fragte: »Hast du ein Taschentuch?«
Hanna hatte wie üblich keines, holte ein Küchenpapier und schaltete den Wasserkocher wieder an. Der Tee, den sie vorhin geplant und dann vergessen hatte, würde jetzt genau richtig sein. Will saà auf der Sofadecke, die Tanja auf den Boden gelegt hatte, und spielte mit einer Rassel, indem er sie auf ihre Bissfestigkeit überprüfte.
Hanna hatte Tanja Steinhübel kennengelernt, als sie vor anderthalb
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