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Bamberger Verrat

Bamberger Verrat

Titel: Bamberger Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
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seine Vorlagen; nur den Schlusssatz des Ermittlungsberichts formulierte er um. Der hieß ursprünglich:
Als der Angeklagte das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik betreten hatte, wurde er angerufen und zum Stehenbleiben aufgefordert. Er flüchtete jedoch wieder durch den Stacheldrahtzaun auf westdeutsches Gebiet, wo er leicht angeschossen und festgenommen wurde.
Die damit zugegebene Tatsache der Grenzverletzung störte die zuständigen Stellen der
SED
. Auf ihre Weisung strich der Berufungsrichter den letzten Satz durch und verbesserte ihn handschriftlich:
Er versuchte zu flüchten, konnte jedoch festgenommen werden.
Das Todesurteil bestätigte er.
    Danach flüchtete Dr.   Hölz in die
BRD
und machte die Öffentlichkeit auf den Fall aufmerksam. Die Empörung war groß. Mehrere Zeitungen berichteten. Zahlreiche Protest- und Bittbriefe wurden an die Staatsführung der
DDR
geschrieben, der Bundeskanzler intervenierte. Doch all das führte eher zu einer Verhärtung der Haltung des Politbüros. Ein Gnadengesuch der Angehörigen von Franz Novak wurde von Staatspräsident Wilhelm Pieck persönlich abgelehnt.
    Am Nachmittag des 11.   Juli 1960 verkündeten Vollzugsbeamte Franz Novak, dass er am nächsten Morgen hingerichtet werde. Novak bat um Papier und Stift und schrieb einen Abschiedsbrief an seine Lieben, in denen er nochmals seine Unschuld beteuerte, sie um Verzeihung bat für alles, was er falsch gemacht habe, und versuchte, sie zu trösten. Er schloss mit dem Goethegedicht:
Über allen Gipfeln ist Ruh, in allen Wipfeln spürest du kaum einen Hauch. Die Vögelein schweigen im Walde. Warte nur, balde ruhest du auch.
    Der Brief befindet sich noch heute bei den Akten. Auf dem beigehefteten Briefumschlag steht:
Der Brief wird nicht weitergeleitet da provokatorischer Inhalt.
    Im Morgengrauen des 12.   Juli 1960 wurde Franz Novak mit der neu errichteten Guillotine in Leipzig enthauptet. Seine Angehörigen wurden nicht über seinen Tod informiert. Erst fünf Jahre später erhielt seine Frau auf hartnäckiges Nachfragen hin seine Sterbeurkunde ausgehändigt.
    In all diesen offiziellen Vorgängen – gespeichert auf Tausenden von Aktenblättern über Vernehmungen, Gegenüberstellungen, Zeugenaussagen, Korrespondenzen diverser Staatsorgane, in Anklage und Todesurteil – ist unentwegt von Verrat die Rede. Gemeint ist immer der Verrat, den Franz Novak angeblich an der
DDR
begangen hat. Es findet sich nicht ein einziger Hinweis auf den anfänglichen, schäbigen Verrat, ohne den die ganze Tragödie niemals ins Rollen gekommen wäre – die Judastat des Hans Kromm an seinem Freund Franz Novak. Novak hat erst in seinem Prozess von diesem Verrat erfahren, und er hat ihn nach Aussage seines Anwalts fast ebenso erschüttert wie das Todesurteil. Wären nicht die Stasi-Akten des geheimen Operativvorgangs »Verräter« erhalten geblieben, in dem das Vorgehen von Hans Kromm Schritt für Schritt dokumentiert ist, wäre seine Spur für immer verloren. Doch der »Lange Schatten der Vergangenheit« …
    Kunigunde klappte, erneut erschüttert durch die Lektüre, ihren Laptop zu. Sie war sich noch nicht sicher, wie sie den letzten Satz beenden sollte. Das würde sie sich nach dem Gespräch mit der Tochter Franz Novaks überlegen, das für morgen auf dem Programm stand.

24
    Es war schon nach achtzehn Uhr, als Benno bei Werner anrief. »Ich komm gerade erst aus der Verhandlung«, sagte er müde. »Das zog sich und zog sich. Dieser Rechtsanwalt Krautnagel ist wirklich zum Kotzen.«
    Â»Das kannst du laut sagen. Den hab ich auch schon erlebt. Kein Vergnügen«, bestätigte Werner. »Und wie geht’s dir sonst?«
    Â»Beschissen. Reden wir nicht drüber.«
    Werner seufzte mitfühlend. »Also keinen Erfolg gehabt?«
    Â»Nein.« Eine Woge der Unlust ergriff Benno, umhüllte ihn wie eine zu enge Haut, Unlust am Reden, Unlust am Zuhören, Unlust am Leben. Er biss die Zähne zusammen. »Bring mich lieber auf den neuesten Stand.« Er hörte selbst, wie spröde seine Stimme klang, und fügte leise hinzu: »Entschuldige.«
    Â»Okay«, antwortete Werner ebenso leise und fuhr lauter fort: »Also: Hier hat sich allerlei getan. Der Obduktionsbericht ist inzwischen da. Todeszeitpunkt tatsächlich gegen halb zwölf Uhr gestern Nacht. Keinerlei

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