Bamberger Verrat
tatsächlich ein sehr melodramatisches Drehbuch geschrieben. Aber ich bezweifle, dass es der Junge da drüben war.«
Sie beobachtete Charly Baumann durch die verspiegelte Scheibe. Er hatte die Arme aufgestützt und das Gesicht in den Händen verborgen und machte trotz seiner GröÃe einen schmächtigen Eindruck.
»An der Geschichte passt zu vieles vom Stil her zu den Details, die wir schon kennen: die Aufbahrung der Leiche, der Zettel â¦Â«
»Na gut«, meinte Werner und reichte ihr eine Tasse. »Gehen wir halt mal von der Annahme aus, die Geschichte stimmt. Das hieÃe also, dass der Mörder â¦Â«
»Oder die Mörderin«, berichtigte Claudia Jung.
»Es fällt mir immer noch schwer, zu glauben, dass eine Frau so etwas fertigbringt. Also gut ⦠dass die Mörderin«, er betonte das »in«, »Martin Kostner versehentlich getötet hat, weil sie ihn für Charly Baumann hielt. Das eigentliche Opfer sollte also Baumann sein.« Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee. »Motiv: Rache an seinem Vater, weil der irgendwann einen Verrat begangen hat, der ihr Leben zerstört habe. Um ihm ein âºlebenslanges Leidâ¹ anzutun, will sie seinen Sohn töten. Aber â¦Â«
Claudia Jung hatte begonnen, unruhig im Zimmer auf und ab zu gehen.
»Was mich irritiert: sie muss doch inzwischen ihren Irrtum bemerkt haben«, unterbrach sie ihren Kollegen. »Der Fall wurde doch in allen Medien breitgetreten.«
»Aber Baumann kann sie ja nun nichts mehr antun.« Werner nickte.
Jetzt verstand er, warum der Junge so eigenartig reagiert hatte, als er ihn festnahm: Er war einfach erleichtert gewesen. Verständlich bei der Angst, die er gehabt haben musste, wenn die Geschichte tatsächlich stimmte.
»Baumann ist ja inzwischen bei uns in sicherem Gewahrsam.«
»Das schon.« Claudia Jung stellte ihre leere Tasse neben die Kaffeemaschine. »Aber ich versuche mal, mich in die Mörderin hineinzuversetzen. Die hat ihr Ziel nicht erreicht, sie hat dem Verräter ja kein Leid angetan. Den Sohn hat sie nicht erwischt, aber da gibt es auch noch eine Ehefrau. Ich finde, wir sollten mal eine Streife bei Frau Kromm vorbeischicken.«
Werner zupfte nachdenklich an seinem Ohr. Dann trank er seine Tasse leer und stand auf.
»Ich finde, wir sollten dort selbst nach dem Rechten sehen«, sagte er entschlossen. »Die Vernehmung von Charly Baumann können wir auch später fortführen.«
Auf dem Weg nach drauÃen zum Parkplatz kam ihnen die Polizistin von der Anmeldung nachgelaufen. Sie wedelte mit einem Blatt Papier, das sie Werner übergab, als sie ihn einholte.
»Da ist eine Nachricht von Staatsanwalt Berg, die er vorhin telefonisch für Sie durchgab«, schnaufte sie. »Und dann war da auch noch eine ältere Dame, die Sie dringend sprechen wollte, angeblich auch im Auftrag von Herrn Berg, aber die ist inzwischen wieder gegangen.«
»Macht nichts. Wenn es wichtig war, wird sie schon wiederkommen.« Werner bedankte sich mit einem Lächeln bei der jungen Beamtin und entfaltete den Zettel. »Ach, Benno ist schon in der SieboldstraÃe. Umso besser.«
36
Die Haustür des Mehrparteienhauses stand weit offen â davor parkte ein Möbelwagen; da wurden wohl gerade Möbel geliefert. Kunigunde stieg eilig die paar Stufen im Hauseingang hoch. Die Wohnung auf der rechten Seite war die der Kromms.
Sie klingelte, und kurze Zeit später öffnete Frau Baumann-Kromm. Sie trug eine karierte Schürze über einem schlabbrigen Trainingsanzug und hielt einen Fleischklopfer in der Hand.
»Jaa?«, fragte sie misstrauisch.
»Frau Kromm, entschuldigen Sie bitte die Störung«, sagte Kunigunde verlegen, »aber ⦠aber ich glaube, Sie sind in groÃer Gefahr â¦Â«
»Hä?«, machte Frau Kromm.
Kunigunde kam sich plötzlich unglaublich albern und hilflos vor. Wie sollte sie der Frau denn nur erklären, was â¦
»Es betrifft eigentlich Ihren Mann«, begann sie und wusste nicht mehr so recht, wie sie fortfahren sollte. »Könnten wir uns kurz unterhalten? Ich müsste Ihnen â¦Â«
Ein plötzlicher Impuls veranlasste sie, sich umzudrehen. Im Gegenlicht des Eingangs stand Rita Gerstner. Sie war als Mann verkleidet, in einem langen Regenmantel, und hatte ihre auffallend blond gefärbten Haare unter einer Schiebermütze
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