Bambule am Boul Mich
Nationalflaggen, Befummeln von Huren
mit Riesenbrüsten usw. Die Tische sahen aus wie die in Tavernen, und man setzte
sich auf Schemel.
Es war brechend voll. Ich hielt
nach einem Platz Ausschau, ein freundlicher Troubadour, der Bruder oder
vielmehr die Schwester des Garderobenfräuleins, nahm sich meiner an. Die
Troubadouresse trug eine umgebaute Laute als Bauchladen mit Zigaretten vor sich
her. Sie fand einen Platz und lotste mich durch die sitzende Menge. Mit ihren
strammen zweifarbigen Beinen stieß sie hier eine
Schulter, dort einen Kopf zur Seite. Endlich konnte ich mich setzen. Zum Dank
für ihre Mühe kaufte ich meiner Fremdenführerin ein Päckchen Zigaretten ab. Bei
dem Kellner, einem Jungen in der Kleidung eines entsprungenen Sträflings,
bestellte ich irgendein Mixgetränk. Wenig später brachte er es mir in einer Art
Humpen.
An allen Tischen wurde
fortwährend geschnattert. Auch das Harmonium ließ sich nicht entmutigen. Es
stand unter einer kleinen Bühne mit rotem Vorhang. Plötzlich bimmelte eine
Glocke. Das Harmonium verstummte seufzend. Eine Lichterkette erstrahlte oben an
den Fransen des roten Vorhangs. Jetzt wurde es relativ still. Ich hatte das
Gefühl, alle wollten sehen, was es zu sehen gab. Ein untersetzter Bursche mit
langer Mähne betrat die Bühne. Mit seinem schwarzen Seidenhemd und seiner
Kordsamthose erinnerte er mich mehr ans späte 19. als ans 15. Jahrhundert.
„Meine edlen Fräulein!
Herrliche Damen! Dämliche Herren!“ schrie er. „Ich, Jehan de Montgibet, Herr
dieses Hauses, habe die Ehre, Ihnen jetzt den außergewöhnlichen Auftritt
anzukündigen, der von weit und fern die anspruchsvollsten Liebhaber der Kunst
zu uns strömen läßt!“ Pause. „Die traurige Isolde.“ Pause. Dann verdeutlichte
er, falls uns der Witz entgangen sein sollte: „Ist sie nicht trist, unsere
Isolde? Urteilen Sie selbst, Messeigneurs. Hier kommt... Applaus, bitte! ...
Isolde. Die triste Isolde.“
Er gab das Zeichen für den
Beifall und zog sich zurück. Bravo-Rufe wurden laut. Ein interessiertes Murmeln
war hier und da zu hören. Wahrscheinlich Kenner oder besonders Schlaue. Der
Vorhang wurde zur Seite gezogen und gab den Blick auf eine junge Dame frei. Ein
weiterer Troubadour, der dritte nach meiner Rechnung, aber diesmal offenbar
männlichen Geschlechts, kam aus den Kulissen hervor und setzte sich links vorne
auf die Bühne. Und schon fing er an, seine Gitarre zu bearbeiten. Die junge
Frau trug ein mittelalterliches Kostüm, streng geschnitten, sehr phantasievoll.
Ihr volles blondes Haar fiel bis auf die Schulter. Auf dem Haar trug sie ein
Häubchen.
Es war Jacqueline Carrier.
Sie lächelte schüchtern ins
Publikum, verbeugte sich vor dem Beifall. Zuerst
sang sie La Rue Saint-Jacques von Mac Orlan. Ihr Vortrag reichte zwar nicht
an den von Germaine Montero heran, konnte sich aber hören lassen. Als sie
danach Tu guettes, Huguette ankündigte, ging ein Raunen durch den Saal. Das
Lied erzählte die uninteressante und übertrieben verrückte Geschichte einer
Schloßherrin, deren Herr und Meister in den Glaubenskrieg gezogen war. Ich
verstand nicht ganz, warum einer meiner Nachbarn sich verschluckte. Aber schon
bald sollte mir das klar werden.
Mit langsamen, eingeübten
Bewegungen, fast denselben, mit denen sie in meinem Büro ihren Dufflecoat
aufgeknöpft hatte, nur viel herausfordernder, begann Jacqueline-Isolde-Huguette
sich auszuziehen. Na schön! Lernte sie das in ihrem Cours Mazarine?
Mittelalterlicher Striptease! Ihr Kostüm schien aus einem Stück zu sein. In
Wirklichkeit bestand es aus mehreren Teilen, die sie nach und nach von sich
warf. Sie beherrschte diese Technik perfekt. Als sie nur noch mit Büstenhalter,
Spitzenhöschen und schwarzen Strümpfen bekleidet war, entlockte der Gitarrist
seinem Instrument ein virtuoses Gejaule. Plötzlich brach das Gitarrenspiel ab.
Das war genau der Augenblick, in dem der Büstenhalter fiel. Rufe der
Bewunderung wurden ausgestoßen, dazwischen ein unverständliches „Psst“. Großer
Gott! Wenn ich mir überlegte, daß Paul Leverrier diesen vollkommenen Körper in
seinen Armen gehalten hatte... um sich dann umzubringen... Ich begriff, daß das
Mädchen das nicht glauben konnte. Na ja, wenigstens war er nicht ins Totenreich
gegangen, ohne von den Früchten des irdischen Lebens gekostet zu haben.
Damit hielt ich den Auftritt
für beendet. Aber nein... da... Scheiße nochmal! Sie kam nicht aus der Puste.
Konnte dem Harmonium noch was davon abgeben.
Weitere Kostenlose Bücher