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Bambule am Boul Mich

Bambule am Boul Mich

Titel: Bambule am Boul Mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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kann... ob Sie freundlich genug sind, mir
zuzuhören. Sie müssen wissen, was ich Ihnen zu sagen habe, klingt so
übertrieben... Jedenfalls wollte man mich davon überzeugen, daß es übertrieben
ist... Und ich hab mich damit schon so lächerlich gemacht... vor den Herren von
der Polizei... ich mußte erst sicher sein, daß Sie mir zuhören...“
    Sie stockte. Jetzt war ich an
der Reihe zu lächeln.
    „Und ich konnte Sie
überzeugen?“
    „Ja.“
    „Weil ich mich zu Colin des
Cayeux bemühen wollte, einfach so, ohne genau zu
wissen, worum’s geht? Das hat Ihnen Vertrauen eingeflößt?“
    „Ja.“
    „Na ja, wie schön... Werd
versuchen, Sie nicht zu enttäuschen, Mademoiselle.“
    „Danke, Monsieur.“
    Sie fuhr sich mit der rosigen
Zungenspitze über die Lippen.
    „Nun, ich wollte Ihnen Ihre
Zeit nicht unnötig stehlen... und als ich merkte, daß ich zu Ihnen kommen konnte...
bin ich gekommen ..
    Wieder stockte sie. Irgendetwas
hemmte sie. Schweigend zählte sie ihre schmalen Finger mit den lackierten
Nägeln.
    „Das ist nett von Ihnen“, sagte
ich, um das Gespräch in Gang zu bringen.
    Dann wartete ich, aber von
alleine kam erst mal nichts. Ich fing an, mir meine Pfeife zu stopfen. Wer
weiß, wie lange das noch dauerte.
    „Ich hoffe, der Rauch stört Sie
nicht“, sagte ich, einfallsreich wie eine Gaslaterne. „Wenn Sie in einem
Cabaret arbeiten...“
    „Nein, nein, das stört mich
nicht. Ich bin Rauch gewohnt.“ Und sie leitstete auch ihren Beitrag, holte aus
der Manteltasche ein Päckchen Pall Mall und steckte sich eine Zigarette in den
Mund. Ich gab ihr Feuer. Ihre Lippen zitterten leicht. Ich vermischte den Rauch
meiner Pfeife mit dem ihrer Zigarette. Dann nahm ich in meinem Chefsessel Platz
und ermunterte sie:
    „Nur zu... Ich höre.“
    „Na ja... also...“, begann sie
zögernd. „Sie werden mich bestimmt für verrückt halten... alle haben mich
bisher für verrückt gehalten...“
    Wieder Pause, dann ein neuer
Anlauf:
    „Oh! Ich habe vergessen, Sie zu
fragen... wegen des Honorares... Ich bin nicht reich und...“
    Sie machte auf mich immer mehr
den Eindruck eines Menschen, der müde ist, wieder und wieder dieselbe Sache zu
erzählen und dabei auf immer dieselbe Skepsis zu stoßen. Jetzt fragte sie sich,
ob sie es nochmal versuchen sollte, und zögerte das bittere Ende hinaus, um
sich noch eine winzige Hoffnung zu bewahren.
    „Vom Geld reden wir später.
Wenn wir überhaupt ins Geschäft kommen“, fügte ich noch hinzu.
    Ihr Gesicht verdüsterte sich.
    „Ja, das stimmt“, seufzte sie.
„Sie haben noch nicht gesagt, daß Sie mir helfen wollen.“
    Ich zuckte die Achseln.
    „Und solange ich nicht mehr
weiß, kann ich’s auch nicht versprechen. Sagen Sie, ist das so schwierig? Am
Telefon haben Sie was von einem Mord erzählt. Ohne daß Sie sicher waren. Sagen
Sie, haben Sie jemanden getötet oder glauben Sie, jemanden getötet zu haben?“
    Sie fuhr hoch.
    „Oh, nein!“ rief sie. „Es ist
wegen...“ Die Kehle schnürte sich ihr zusammen. „...wegen Paul.“
    „Paul?“
    „Ja.“
    Mit einem Mal war die Farbe aus
ihrem Gesicht gewichen. Zurück blieb nur das unaufdringliche Make-up. Sie
verzog das Gesicht wie ein Baby, das gleich anfängt zu heulen. Weit entfernt
davon war sie auch nicht. Ihre Augen füllten sich schon mit Tränen. Mit
veränderter Stimme flüsterte sie:
    „Ich kann nicht darüber
sprechen. Es ist zu schwer... Hier, lesen Sie. Ich wußte, daß ich nicht darüber
sprechen kann. Deswegen hab ich’s mitgebracht.
    Sie nahm aus ihrer Mappe einen
Stoß Zeitungsausschnitte und reichte ihn mir. Jetzt konnte sie sich nicht
länger beherrschen. Sie legte ihre Zigarette in den Aschenbecher und weinte
still vor sich hin. Ich ließ sie weinen und fing an zu lesen.
    Die Zeitungsartikel waren etwa
einen Monat alt, stammten aus dem Parisien, Paris-Journal, France-Soir und Crépuscule und noch zwei oder drei anderen kleineren Blättchen. Es
ging um einen gewissen Paul Leverrier, zwanzig Jahre, Sohn eines Arztes vom
Boulevard Saint-Michel und selbst wohl zukünftiger Arzt, wenn es ihm nicht in
den Sinn gekommen wäre, sich eine Kugel in den Kopf zu jagen. In seinem eigenen
Wagen, einem alten 2CV, mit einem Revolver, der neben ihm gelegen hatte und
dessen Herkunft ungeklärt geblieben war. Das war auf dem Quai Saint-Bernard
passiert, neben den Gittern der Halle aux Vins, in einer mondlosen Nacht, ohne
einen anderen Zeugen als das Gewissen des jungen Mannes, der in seinem

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