Banana Pancake Trail: Unterwegs auf dem vollsten Trampelpfad der Welt (German Edition)
stoned. Ständig ziehen sie an einem Chillum, einer Art Pfeife, die sie mit beiden Händen umklammern. Sie tun das aus religiösen Gründen, weil sie so leichter in einen meditativen Zustand gelangen. Marihuana ist in Indien offiziell verboten. Die Sadhus aber haben eine Sondergenehmigung, weil das Rauchen von Ganja Teil ihrer Religion ist. Sadhus füllen ihr Leben mit sehr eigenartigen Aufgaben: Es kursieren Fotos von Mönchen, die seit Jahrzehnten einen Arm ausgestreckt nach oben halten. Die Arme sehen mittlerweile aus wie Äste von Bäumen, und die Fingernägel sind zu kleinen Spiralen gewachsen. Manche Sadhus leben jahrelang auf einem Baum, andere essen Leichen.
In Pushkar gibt es sehr viele Sadhus. Sie sitzen an den Ghats oder an irgendwelchen Straßenecken, kiffen, grinsen, beten und tun nichts. Sadhus, könnte man sagen, sind die Antipoden des westlichen Lebensmodells. Sie arbeiten nicht und tun auch sonst nichts, was man in der westlichen Hemisphäre gemeinhin unter einer «sinnvollen Tätigkeit» versteht. Sie haben keinen Besitz, keine Frau, keinen Sex, keine Kinder, keine Kleidung, keine Statussymbole, und sie waschen sich selten bis gar nicht.
Die andere Hälfte der Besucher Pushkars stellen Hippies und Backpacker. Sie tragen bunte, wallende Gewänder; manche von ihnen einen indischen Sari. Die meisten haben Dreadlocks, die sie wiederum mit bunten Tüchern irgendwie zusammenhalten. Es ist leicht, sich über die Ethnobackpacker lustig zu machen. Aber es ist schwierig, nach einem mehrtätigen Aufenthalt in Pushkar nicht auszusehen wie sie. Infolge der Begrüßungszeremonie, für die man einige Rupien bezahlt hat, trägt man bereits einen roten Punkt auf der Stirn und ein hippieskes Blumenband um den Arm. Da Pushkar nahe der Wüste liegt, ist es hier sehr heiß, und so kauft man sich für zwei Euro ein leichtes Baumwollhemd in Sackform. Weil es nachts schnell abkühlt, erwirbt man außerdem einen bunten, sehr breiten Schal und eine Pluderhose, deren Hosenbeine auf Kniehöhe ineinander übergehen. Nach spätestens drei Tagen sieht man aus wie ein Ethnofreak, obwohl man genau das eben vermeiden wollte.
Auf Backpacker übt Pushkar eine große Faszination aus. Schon in den Hostels von Neu-Delhi, Agra oder Udaipur trifft man Indienreisende, die einem in quasireligiöser Verzückung von dieser Stadt berichten. Sie sagen: «Du musst, du musst nach Pushkar fahren! Es ist der schönste Ort Indiens. Pushkar ist magisch, es ist ein heiliger Ort! Man spürt die Energie überall!»
Trifft man später jemanden in China, Mexiko oder Hildesheim und stellt sich heraus, dass beide Personen einmal, sei es vor zwei Monaten oder 20 Jahren, in dieser Stadt waren, so kommt es zu spontanen Verbrüderungsszenen. « Nein! Du warst auch dort? Vor fünf Jahren? O Gott, ich auch! Was für ein Zufall! Wir müssen Freunde werden!» Beide Personen fühlen sich schlagartig durch das Schicksal derart verbunden, als hätten sie den 9. November 1989 zufällig nebeneinander auf der Berliner Mauer verbracht.
Pushkar ist für viele Backpacker die Essenz Indiens, weil es so heilig ist, so exotisch, so märchenhaft und weil sie dort nicht ganz so oft von verkrüppelten und blinden Kindern angebettelt werden wie in Mumbai oder Kalkutta. Die Stadt ist klein genug, um sie in einer Stunde zu Fuß durchqueren zu können, und man tritt in den engen Gassen der Altstadt immer wieder auf Kamele und Esel. Viele Reisende bleiben wesentlich länger in Pushkar, als sie anfangs geplant haben.
Boaz zum Beispiel ist schon seit sechs Wochen hier. Er hat schulterlange Dreadlocks, ist dünn bis ausgemergelt und trägt ein weites blaues Gewand aus dünner Baumwolle. Er liegt auf der Terrasse unseres Hostels und schreit: «Lakshmi, Lakshmi!» Lakshmi ist der Kellner des Hostels, ein sympathischer, wenn auch für einen Kellner etwas arg vergesslicher junger Mann. Lakshmi vergisst im Schnitt ein Drittel der aufgegebenen Bestellung, was in Ordnung ist, sobald man sich einmal damit abgefunden hat. Nachdem Boaz mehrmals laut nach «Lakshmi» gerufen hat, erscheint dieser grinsend und nimmt die Bestellung entgegen: einen Bananenpfannkuchen, einen Chai-Tee und ein Wasser.
Das Lotus View Hostel liegt auf der anderen Seite des Sees, wo es wesentlich ruhiger ist als auf der Stadtseite. Boaz fläzt hier seit drei Wochen auf der Terrasse und blickt auf die im See badenden Pilger. Das hat zwei Gründe. Zum einen, sagt Boaz, sei «Pushkar der unglaublichste Ort, den ich je
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