Banana Pancake Trail: Unterwegs auf dem vollsten Trampelpfad der Welt (German Edition)
Zitrone, der Schnaps strömt in die Gläser und Kehlen, und die drei Chinesinnen brüllen im Chor: «Party!»
Thomas lief durch Polen, durch die Ukraine, durch Russland. Nie nahm er den Zug, nie trampte er, die ganze Strecke, sagte er, ging er zu Fuß. «Im Ural habe ich mich von Konserven ernährt. Nachts sind Wölfe gekommen und haben mich angefallen. Im Winter war ich in Sibirien und habe mich verlaufen. Ich sag dir, wenn du dich nachts im Schnee verläufst, bist du so gut wie tot. Erst nach drei Stunden hat mich ein Russe gefunden.»
Er wanderte weiter Richtung Osten. In der Mongolei baute er einem Viehhirten einen deutschen Holzzaun. Der Mongole war derart begeistert, dass er ihm seine Tochter zur Frau geben wollte. Aber Thomas musste weiter, wohin, wusste er selbst nicht. Er lief durch China, und irgendwann, nach über einem halben Jahr Wanderschaft kam er in Dali an. «Ich dachte mir dann, hier ist es irgendwie gut, hier bleibe ich.» Am Hügel außerhalb der Stadtmauern baute er sich ein Haus. Nun lebt er davon, Schmuck und Bälle zum Jonglieren an Touristen zu verkaufen.
Die Chinesinnen wiederholen ihr Ritual gerade zum fünften Mal. Nachdem sie auch diesen Tequila auf ex getrunken und «Party!» gerufen haben, tanzen sie zu Berlin Minimal Techno. Sie sind die einzigen Personen, die tanzen. Der Spanier ist in die Playlist seines Laptops vertieft. Liz sitzt leicht verwirrt auf der Couch im Innenhof und lacht den Mond an. Thomas möchte jetzt über die schwierige Beziehung zu seinem Vater reden und legt mir ein ums andere Mal den Arm um die Schultern.
Es riecht noch immer nach Mangos. Das kommt von Dylan. Von seinen meterlangen Dreads, die bei der letzten Mangoernte in Australien im Matsch schleiften.
Ich verlasse Dali am nächsten Tag. Die anderen bleiben.
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Die heiligen Männer von Pushkar
Ort: Pushkar, Indien
«Weisheit ist nicht mitteilbar. Weisheit, welche ein Weiser mitzuteilen versucht, klingt immer wie Narrheit.»
Hermann Hesse, Siddhartha [14]
Pushkar ist ein heiliger Ort. Man merkt das gleich, wenn man den Bus verlässt und in Richtung See geht. Ein Inder greift den Besucher am Arm, hält ihn fest wie im Schraubstock und zerrt ihn zum Ufer. Das ganze Ufer ist mit Steintreppen, sogenannten «ghats», verbaut. Der Inder führt den Reisenden zum Eingang eines der Ghats. Dort tunkt er seinen Finger in ein Pulver und drückt dem Besucher einen roten Punkt auf die Stirn und murmelt «Hare, hare, hare!». Das kostet zehn Rupien. Anschließend streift er dem Neuankömmling ein aus Blumen geflochtenes Band übers Handgelenk und fragt in dem typischen, abgehackten Pidginenglisch: «You have mother?»
Der Besucher nickt.
«You have father?»
Ja.
«You have brother?»
«Yes.»
«You have sister?»
«No.»
«You have grandmother?»
«Yes.»
«Hare, hare brother, hare, hare mother, hare, hare father, hare, hare grandmother», murmelt der Inder.
Dann deutet er auf seine offene Hand und sagt: «Brother ten rupees, mother ten rupees, father ten rupees, grandmother five rupees. Altogether 35 rupees!»
Der Reisende darf nun, nachdem er sich den Segen für seine Familie erkauft hat, die Treppen zum heiligen See hinabsteigen. Nach einigen Tagen erst wird ihm klar, dass er dies wahrscheinlich auch ohne die Segnungen des heiligen Mannes hätte tun können, der vielleicht gar nicht so heilig war, sondern ein ganz normaler Inder, der Geld mit Touristen verdienen will.
In Pushkar leben etwa 15000 Menschen. Pushkar ist heilig, weil der See durch eine Träne des Gottes Brahma entstanden ist. Pushkar ist nicht ganz so heilig wie Varanasi am Ganges (wenn man sich dort wäscht, entkommt man dem Kreislauf der Wiedergeburten), aber doch immerhin so heilig, dass stets, wenn man tagsüber auf den See blickt, ein paar Inder darin baden. Manche von ihnen sind Sadhus. Sadhus sind Bettelmönche. Sie haben jeglichem Besitz entsagt, besitzen weder Geld noch eine Behausung, noch sonst irgendetwas. Alles, was ihnen gehört, führen sie in einer kleinen Tasche bei sich. Sadhus erkennt man sofort: Sie sehen aus wie ein Hybrid aus Bob Marley und Mahatma Gandhi. Oft tragen sie nichts außer einem Lendenschurz und haben meterlange Dreadlocks, die sie zu einem Turm aufeinandertürmen und verknoten, was wiederum an die Frisur von Marge Simpson erinnert. Manche malen sich mit Farbe an, andere mit Asche. Fast alle kiffen. Sie rauchen nicht ab und zu einen Feierabendjoint, sondern sind permanent
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