Banana Pancake Trail: Unterwegs auf dem vollsten Trampelpfad der Welt (German Edition)
dass alle Weißen reich und dumm sind. Sie zahlen überteuerte Preise, sie lassen sich in Schuhfabriken und Teppichläden führen, sie laufen spärlich bekleidet durch die Mittagssonne. Manchmal fragt er sich, wie eigenartig die Länder des Westens wohl beschaffen sein müssen, dass dort Dumme reich werden können, denn in seinem Land sind dumme Menschen arm. Vielleicht leben dort tatsächlich alle Menschen in geräumigen Einfamilienhäusern, fahren drei Autos und verdienen Tausende von Dollar, Euro und Pfund. Vielleicht stapelt sich in diesen Ländern der Reichtum derart, dass sogar die Dümmsten der Dummen der Weißen reicher sind als die Schlausten der Schlauen der Inder. Vielleicht ist der Westen tatsächlich so, wie ihn die Firangi-Filme zeigen. Eine komische Welt ist das, denkt Lakshmi, nicht gerade gerecht, wenn die Dummen reicher sind als die Schlauen. Aber letztlich ist es ihm auch egal, ob es nun gerecht oder ungerecht auf der Erde zugeht. Er hat die Welt nicht gemacht, er ist eben an diese Stelle in Delhi geboren worden. Wie jeder Mensch hat er eine Aufgabe bekommen, die er gut oder schlecht erfüllen kann. Erfüllt er sie gut, so wird er im nächsten Leben vielleicht als Firangi wiedergeboren. In diesem Leben aber ist es Lakshmis Aufgabe, von der Dummheit der Firangi zu profitieren.
Sein anderer Cousin, Nishan, arbeitet jetzt in einem Callcenter. Nishan ist ein reicher Mann. Er verdient jetzt 300 Dollar im Monat. Und er kann den ganzen Tag sitzen und muss nicht körperlich arbeiten. Er kann sehr gut Englisch. Er hat Lakshmi erzählt, dass er jeden Tag Amerikaner anrufen muss, um ihnen zu sagen, dass sie ihr Konto überzogen haben. Nishan sagt, nicht alle Firangi haben Geld. Manche von denen, die er anruft, jammern am Telefon herum und sagen, sie wären selbst arm. Lakshmi glaubt das nicht so recht: Alle Firangi, die er kennt, haben mehr Geld als er. Sie haben technischen Schnickschnack – iPods, iPhones, manche tragen sogar einen Laptop mit sich herum. Sie fahren den ganzen Tag mit dem Taxi durch die Gegend und essen immer in einem Restaurant. Ein Großonkel von ihm hat ein kleines Restaurant auf dem Main Bazaar, dort wo alle Firangi hingehen, um zu schlafen, zu essen und Alkohol zu trinken. Einmal ist Lakshmi dort gewesen. Das Essen in dem Restaurant ist sehr, sehr teuer und sah irgendwie komisch aus, jedenfalls nicht indisch, obwohl der Großonkel es als «original Indian food» verkauft.
Wie immer tut Lakshmi so, als würde er seinen Cousin Gopal nicht kennen, als der mit dem Weißen erscheint. Er setzt sein freundlichstes und unschuldigstes Lächeln auf und schüttelt die Hand des Weißen. Eine Fettschicht aus schlechtem Schlaf, Flugzeugluft und Delhi-Smog glänzt auf dem Gesicht des jungen Mannes. Er sieht genervt aus und verlangt von Lakshmis Cousin seinen Rucksack aus dem Kofferraum. «Immer diese Rucksäcke», denkt Lakshmi. «Ein seriöser, intelligenter Herr würde mit einem Koffer reisen. Er würde außerdem kein lächerliches T-Shirt tragen und Schuhe, keine Gummisandalen.»
Jetzt spult Lakshmi sein Programm ab. Nacht für Nacht ist es dasselbe: Sein Cousin fängt die Bleichgesichter schon am Flughafen ab und lotst sie in sein Taxi. Alle wollen sie zum Main Bazaar, dorthin, wo all die Billigabsteigen sind. Doch Lakshmis Cousin erzählt ihnen jedes Mal, alle Zimmer seien ausgebucht. Die müden Firangi sind dumm und gutgläubig, und sollte einer einmal misstrauisch werden, fährt Gopal sie in eine Seitenstraße des Bahnhofs, dahin, wo die Bettler und Aussätzigen herumlungern. Er deutet nach draußen und sagt zum Firangi: «Here is Main Bazaar, you want to exit?» Die Firangi kriegen Angst und wollen nicht aussteigen. Am Ende landen sie dann alle bei Lakshmi. Lakshmi ist sehr freundlich, und die Firangi denken: Endlich mal ein netter Inder, dem kann ich vertrauen! So funktioniert das Geschäft.
«Welcome to Ganesha Travel Agency. You are in safety now», sagt Lakshmi und grinst, so breit er kann.
Der Firangi lächelt. Das ist ein gutes Zeichen, er ist naiv. Firangi, die lächeln, sind immer gutgläubig. Der Firangi sieht aus, wie alle aussehen: Er trägt eine lange Hose mit vielen Taschen an den Seiten, ein blaues, verschwitztes T-Shirt, auf das irgendetwas aufgedruckt ist, und Flipflops. Er hat blaue Augen und kurze braune Haare. Der Firangi denkt sicherlich: Endlich ein Inder, der mich nicht verarscht. Einer, der die Wahrheit sagt, ob in dieser X-Millionen-Stadt wirklich wegen eines
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