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Band 1 - Blutspur

Band 1 - Blutspur

Titel: Band 1 - Blutspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Harrison
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mich in den Sessel drückt und mir die Kehle aufreißt?
    Die Sonnenstrahlen erreichten die Küche nicht mehr, aber es war immer noch warm. Die Wärme drang zwar nicht bis unter meine Haut, war aber trotzdem angenehm. Ich war am Leben. Al meine Körperteile und -flüssigkeiten waren noch intakt. Es war ein guter Nachmittag.
    Ich saß am aufgeräumten Ende von Ivys Tisch und las in dem zerfleddertsten der Bücher, die ich auf dem Speicher gefunden hatte. Dem Aussehen nach schien es noch aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg zu stammen. Von einigen dieser Zaubersprüche hatte ich noch nie etwas gehört. Es war eine faszinierende Lektüre und ich musste zugeben, dass die Aussicht, einen oder zwei von ihnen auszuprobieren, mich mit einer gefährlichen Vorfreude erfül te. Keiner der Sprüche wies auf die dunklen Künste hin, was mich extrem freute. Es war falsch und abartig, jemandem mithilfe von Magie Schaden zuzufügen, und verstieß gegen al es, woran ich glaubte. Und es war das Risiko nicht wert.
    Jede Art der Magie fordert einen Preis in Form eines Todes, wenn auch in verschiedenen Abstufungen. Ich war vol und ganz eine Erdhexe. Meine Kraftquel e war die Erde, deren sanfte Energie durch die Pflanzen zugänglich wurde.
    Hitze, Weisheit oder Hexenblut konnten diese Energie verstärken. Da ich nur weiße Magie praktizierte, bezahlte ich den Preis, indem ich Pflanzen das Leben nahm. Damit konnte ich leben, denn Ich weigerte mich, die Tötung von Pflanzen mit irgendeiner Moralvorstel ung in Verbindung zu bringen.
    Sonst würde ich schon wahnsinnig werden, wenn ich nur den Rasen meiner Mutter mähte. Aber das hieß nicht, dass es keine schwarzen Erdhexen gab - es gab sie durchaus. Doch für schwarze Magie brauchte man widerliche Zutaten wie Körperteile oder Blutopfer. Schon das Sammeln der für einen schwarzen Spruch erforderlichen Materialien hielt die meisten weißen Erdhexen davon ab, die Seiten zu wechseln.
    Die Hexen der Kraftlinienmagie waren da ganz anders. Sie bezogen ihre Kraft direkt aus der Quel e - rein und ungefiltert, durch lebende Geschöpfe. Auch diese Praktik verlangte den Tod, aber es war ein subtilerer Tod, ein Sterben der Seele - und nicht zwangsläufig ihrer eigenen. Doch der von weißen Kraftlinienhexen verursachte Seelentod war nicht so schlimm wie der, den die schwarzen Hexen nutzten. Es war vergleichbar mit dem Unterschied zwischen dem Schneiden von Gras und der Schlachtung einer Ziege in irgendeinem Kel erloch. Die Herstel ung eines mächtigen Zauberspruchs aber, der verletzen oder töten sol te, hinterließ eine deutliche Wunde im tiefsten Kern des Selbst.
    Die schwarzen Kraftlinienhexen konnten das umgehen, indem sie den Tribut auf eine andere Person umlenkten. Oft verbanden sie ihn mit dem Zauber und versetzten so dem Empfänger einen doppelten Schlag. Nur wenn diese Person einen vol kommen reinen Geist hatte oder über größere Macht verfügte, wurden die Kosten, wenn auch nicht der Zauber, wieder auf den Erzeuger übertragen. Hinzu kam, dass eine Verunreinigung der Seele, wie sie durch schwarze Magie entstand, es den Dämonen angeblich erleichterte, einen ins Jenseits zu ziehen.
    Wie es meinem Dad passiert ist. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass er bis zum Ende eine weiße Hexe geblieben war. Er hätte eigentlich in der Lage sein müssen, den Weg zurück in die Realität zu finden, auch wenn er den nächsten Sonnenaufgang wohl nicht mehr erlebt hätte.
    Ein leises Geräusch erregte meine Aufmerksamkeit. Ich schluckte, als ich Ivy in einem schwarzen Seidenmorgenmantel am Türrahmen lehnen sah. Die Erinnerung an letzte Nacht kam zurück und mir wurde schlecht. Unwil kürlich hob ich die Hand zum Nacken, griff aber dann nach meinem Ohrring, als wol te ich ihn zurechtrücken. Dabei gab ich vor, das vor mir liegende Buch zu studieren. »Morgen«, sagte ich vorsichtig.
    »Wie spät ist es?«
    Ich warf ihr einen prüfenden Blick zu. Ihr für gewöhnlich glattes Haar war zerzaust und vom Kopfkissen platt gedrückt.
    Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen und ihr schmales Gesicht wirkte schlaff. Die Trägheit des frühen Nachmittags hatte ihre übliche Raubtierausstrahlung völ ig neutralisiert.
    Sie hielt ein dünnes, in Leder gebundenes Buch in der Hand und ich fragte mich, ob sie eine ebenso schlaflose Nacht hinter sich hatte wie ich.
    »Es ist fast zwei«, sagte ich misstrauisch. Mit dem Fuß schob ich ihr einen Stuhl am anderen Ende des Tisches zurecht, damit sie sich nicht neben mich

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