Band 2 - Blutspiel
die Kreaturen des Jenseits zu beschwören. Und ich muss zugeben, die Tatsache, dass ein Mensch die Magie so selbstverständlich akzeptierte, machte mich an.
»Letzte Chance, den Kreis zu verlassen.« Ich drehte den Gasbrenner ab und stel te das Medium in die Mitte der Arbeitsplatte.
Nick brummelte nur etwas vor sich hin, legte das Blatt mit dem perfekten Pentagramm zur Seite und begann mit dem nächsten. Neidisch auf seine makel os geraden Linien schob ich mein Zubehör zur Seite und schaffte so eine freie Fläche zwischen uns.
Plötzlich musste ich wieder daran denken, wie ich nach der unbewussten Kraftliniennutzung im Ferienlager bestraft worden war. Meine Abneigung gegen Kraftlinien ließ sich aber sicherlich nicht nur auf dieses Kindheitserlebnis zurückführen - da musste noch mehr dahinterstecken. Ich traute der Kraftlinienmagie einfach nicht. Sie machte es einem zu leicht, den Überblick zu verlieren, auf welcher Seite der Magie man sich befand.
Bei der Erdmagie war es simpel: musste man eine Ziege schlachten, konnte man davon ausgehen, dass es sich um schwarze Magie handelte. Kraftlinienmagie forderte auch einen Tod, aber hier bezahlte man mit einem Stück seiner Seele, was das Ganze wesentlich undurchsichtiger machte.
Der Preis war schwieriger zu bemessen und konnte leichter außer Acht gelassen werden - bis es zu spät war.
In der weißen Kraftlinienmagie gab man nicht viel, es war vergleichbar mit dem Tod der Pflanzen, die ich für meine Erdzauber pflückte. Aber die reine Energie der Kraftlinien war verführerisch. Man musste einen starken Wil en haben, um sich an die selbst auferlegten Grenzen zu halten und eine weiße Kraftlinienhexe zu bleiben. Die abgesteckten Grenzen, die anfangs so vernünftig und notwendig erschienen, wirkten oft lächerlich und kleinlich, wenn man unter dem Einfluss der Kraftlinie stand.
Ich hatte es schon bei zu vielen Freunden erlebt, dass sie sozusagen vom »Unkrautzupfen« zum Ziegenschlachten übergingen, ohne sich des Übertritts zur schwarzen Magie bewusst zu sein. Sie hörten nicht auf mich, hielten mich für eifersüchtig oder feige. Und irgendwann musste ich sie dann einbuchten, weil sie einen schwarzen Zauber über einen harmlosen Verkehrspolizisten verhängt hatten - nur weil er sie wegen einer Tempoüberschreitung rausgewinkt hatte.
Viel eicht behielt ich deswegen meine Freunde nie lange.
Das waren die Fäl e, die ich bedauerte: eigentlich gute Leute, die von einer Kraft verführt wurden, für die sie nicht stark genug waren. Ich hatte Mitleid mit ihnen, denn die schwarze Magie, mit der sie spielten, zerfraß nach und nach ihre Seele. Angst machten mir nur die professionel en schwarzen Hexen, die stark genug waren, den erforderlichen Seelentod auf andere umzuleiten. Letztendlich fand der Seelentod al erdings immer zum Ursprung zurück -und brachte dann viel eicht gleich einen Dämon mit. Und dann kamen die Schreie, das Blut und ein Spektakel, das die ganze Stadt erbeben ließ.
Danach brauchte man sich um diese Hexe keine Gedanken mehr zu machen.
Mein Wil en war nicht stark genug. Ich wusste das, akzeptierte es und mied das Problem, indem ich Kraftlinien nur einsetzte, wenn es absolut unumgänglich war. Und ich konnte nur hoffen, dass die Entscheidung für einen fischigen Schutzgeist keine Abzweigung in eine Einbahnstraße, sondern nur ein Schlagloch auf meinem Weg darstel te. Ich warf einen Blick auf Bob und war mir sicher, dass es so war.
Schließlich hatten ja al e Hexen Schutzgeister. Außerdem enthielt der Bindungszauber nichts, was anderen schaden konnte.
Ich holte tief Luft, schloss die Augen und bereitete mich auf das Gefühl der Orientierungslosigkeit vor, das immer einsetzte, wenn man sich mit der Kraftlinie verband. Ganz langsam öffnete ich mich dem zweiten Gesicht. Der stechende Geruch von versengtem Bernstein brannte in meiner Nase. Obwohl das Küchenfenster geschlossen war, fuhr ein Luftzug durch meine Haare. Im Jenseits wehte ein ständiger Wind. Ich stel te mir vor, wie die Mauern um mich herum durchsichtig wurden, bis vor meinem inneren Auge genau das geschah.
Das zweite Gesicht verstärkte sich, genau wie das Gefühl, sich im Freien zu befinden, bis das mentale Bild der Landschaft außerhalb der Kirchenwände genau so real war wie die Arbeitsplatte, auf der meine Finger ruhten. Ich hielt die Augen geschlossen, um die normale Sicht auszuschalten und ließ den inneren Blick durch die nicht mehr existierende Küche wandern. Nick konnte ich
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