Band 6 - Blutnacht
das Gesicht, um mir ein Lächeln zuzuwerfen, das jeder Wärme entbehrte. Sie schaute kurz zu ihrem Begleiter, dann schüttelte sie sich eine graue Strähne aus den Augen. Sie war groß und dünn, ihr schmales Gesicht bar jeder Schminke oder Charmezauber, um sie jünger wirken zu lasen. Sie war wahrscheinlich um die Jahrhundertwende herum geboren worden. Die meisten Hexen, die damals geboren worden waren, zeigten ihre Magie nur ungern, und dass sie einen entsprechenden Lehrberuf gewählt hatte, war ungewöhnlich.
Ich hatte die unangenehme Frau als Lehrerin gehabt.
Zweimal. Das erste Mal hatte sie mich schon in der ersten Woche des Kurses durchfal en lassen, ohne jeden Grund, und das zweite Mal hatte sie mir dasselbe angedroht, sol te ich keinen Vertrauten annehmen.
Sie war zu einer Mordverdächtigen geworden, die ich überprüft hatte, und während der Untersuchung war ihr Auto von einer Brücke gefal en, was sie als Verdächtige ausschloss.
Aber ich hatte gewusst, dass sie die Verbrechen nicht begangen hatte. Dr. Anders war fies, doch Mord stand einfach nicht auf ihrem Programm.
Aber als ich sah, wie sie in Trents privater Küche Kaffee trank, fragte ich mich, ob sie nicht Neues lernte.
Offensichtlich hatte Trent ihr dabei geholfen, ihren Tod zu inszenieren, damit der tatsächliche Kraftlinienhexen-Mörder sie nicht ins Visier nahm und sie stattdessen für den Elfen arbeiten konnte.
Sie erinnerte mich an Jonathan. Ihre Verachtung von Erdmagie war so deutlich spürbar wie Jonathans Abneigung gegen mich. Ich ließ meinen Blick über ihre zu dünne Gestalt gleiten, als ich mich näherte. Sie musste es sein. Wer würde sich schon als so unscheinbare Frau verkleiden?
»Rachel«, sagte die Frau, als sie sich umdrehte und die Beine überschlug, jetzt, wo sie nicht mehr unter dem Tisch waren. Sie musterte forschend das Schwermagie-Amulett, das um meinen verletzten, zerbissenen Hals hing, und mein Auge zuckte, als ihre Stimme unendlich viele ach so wunderbare Erinnerungen an Demütigungen in Kursen zurückbrachte.
»Wie schön, zu sehen, dass Sie sich so wacker schlagen«, fuhr sie fort, während ihr Assistent zwischen uns hin und her schaute und versuchte, die Stimmung einzuschätzen. »Ich habe gehört, dass es Ihnen gelungen ist, die Vertrautenverbindung zu Ihrem Freund zu brechen.« Sie lächelte mit der Wärme eines Pinguins. »Darf ich fragen, wie?
Noch ein Fluch viel eicht? Ihre Aura ist schmutzig.« Sie schniefte, als ob sie die Schwärze auf meiner Aura riechen könnte. »Was haben Sie ihr nur angetan?«
Ich blieb einen Meter vor ihr stehen und stel te mir vor, wie gut es sich anfühlen würde, ihr meinen Fuß in den Bauch zu rammen und ihren Stuhl nach hinten umzuwerfen. Sie hatte ihren eigenen Tod vorgetäuscht und mich al ein gelassen in dem Versuch, herauszufinden, wie man die Verbindung brach
- diese Harpyie. »Die Vertrautenverbindung ist spontan gebrochen, als ein Dämon mich zu seinem Vertrauten gemacht hat«, verkündete ich und hoffte, dass sie das schocken würde.
Der Assistent keuchte und riss seine mandelförmigen Augen weit auf, während er sich mit wippenden Haaren in seinem Stuhl zurücklehnte.
Ich fühlte mich wie ein Klugscheißer, zog einen Stuhl heraus und stel te einen Fuß darauf, statt mich hinzusetzen.
»Als die Verbindung durch die Kraftlinien nicht funktionierte«, fuhr ich fort und genoss den Horror des Mannes, »hat er eine tiefere Verbindung erzwungen, indem er mich Teile seiner Aura übernehmen ließ. Das hat die ursprüngliche Verbindung mit Nick gebrochen. Es hat ihn auch zu meinem Vertrauten gemacht. Das hatte er nicht erwartet.«
»Sie haben einen Dämon als Vertrauten?«, stammelte der junge Mann. Dr. Anders warf ihm einen bösen Blick zu, damit er den Mund hielt.
Ich war das Ganze leid, und als Takata zu einer seiner Bal aden ansetzte, schüttelte ich den Kopf. »Nein. Wir haben uns geeinigt, dass der Deal nichtig war, weil beide Vertrautenverbindungen nicht erzwingbar waren. Ich bin niemandes Vertrauter, höchstens mein eigener.«
Dr. Anders Gesichtsausdruck veränderte sich und wurde gierig. »Sagen Sie mir wie«, verlangte sie und lehnte sich ein wenig vor. »Ich habe darüber gelesen. Sie können Linienenergie in Ihren Gedanken speichern. Oder?«
Ich schaute sie angewidert an. Sie hatte mich vor zwei Kursen runtergemacht und beschämt, weil ich Erdmagie praktizieren wol te statt Kraftlinienmagie, und jetzt dachte sie, ich würde ihr beibringen, ihr eigener
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