Banditenliebe
früher nach Castelfranco keine zehn Minuten weniger; jetzt im Berufsverkehr war alles voll.
Als Erstes sang Claudio Bertolin The Blues Is a Lonely Road. Das zweite Stück, Have Been Down to Hell , konnte ich nicht ganz hören, weil mittendrin mein Handy in der Hosentasche vibrierte.
Arben. Widerwillig ging ich vor die Tür. Als hätte er es absichtlich gemacht!
»Wir können darüber reden«, sagte er.
»In Ordnung. Dann sehen wir uns morgen früh um elf im Großmarkt am Viale Venezia. Im Erdgeschoss ist eine Bar.«
»Ich hatte an einen ruhigeren Ort gedacht.«
›Wo man jemanden in aller Ruhe abstechen kann‹, dachte ich. »Mach dir nichts draus, aber mir sind belebte Orte lieber.«
»Gut, aber du musst mich kontrollieren lassen, ob du sauber bist.«
Kein Problem.
Ich rief Max an. Sie saßen gerade beide vor der Villa des Serben herum und langweilten sich furchtbar. Ich teilte ihm die gute Neuigkeit mit.
»Dann vergnüge dich schön. Ab morgen gehen wir in Klausur.«
Zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug, Harmonika und Vocals. Neun Stücke, dazu das traditionelle Everyday I Have the Blues . Ein wunderbarer Abend. Ich ging Bertolin danken, der einige Male im Winkel aufgetreten war, und fand ihn im Gespräch mit einem anderen Blues-Man des Veneto, Marco Ballestracci, der mir seine jüngste CD schenkte, Wimmin ’n’ Devils .
Sie fragten, warum wir den Winkel zugemacht hatten, und ich tischte ihnen eine glaubwürdige Geschichte auf. Dann ging ich zum Tresen, um einen Calvados zu trinken, und stellte hocherfreut fest, dass sie Alligatoren servierten. Ich beschloss, mich auf einen einzigen zu beschränken, und bestellte dazu ein Stück Kuchen.
»Was für einen?«, fragte die zwanzigjährige Kellnerin und deutete auf den gutbestückten Wagen mit den Desserts.
»Such du eins aus. Ich bin kein großer Esser von Süßem, aber ich brauche eine Unterlage für einen Drink.«
»Dann bekommst du eine doppelte Portion Crostata mit Maronencreme«, entschied sie fachmännisch. »Der Mürbeteig ist unschlagbar als Schwamm.«
Ich war zufrieden. Der Blues strömte durch meine Adern wie eine wohltätige Infusion, und so war der Tag doch noch zu einem guten Ende gekommen. Aber ich kannte hier niemanden, und mir fehlten die Gespräche wie im Winkel. Bevor mich eine neue Welle an Traurigkeit überspülte, wollte ich lieber gehen. Im Wagen legte ich Ballestraccis CD ein und drehte die Lautstärke voll auf. Es explodierte Baby Please Set a Date , ein altes Stück des großen Elmore James.
Die Bar im Großmarkt hatte ich nicht zufällig gewählt. Dort arbeitete ein früherer politischer Häftling, den ich aus dem Gefängnis kannte. Als er nach fünfzehn Jahren entlassen wurde, wartete auf ihn die Frau, mit der er die Nacht vor seiner Verhaftung verbracht hatte. Noch eine andere Banditenliebe. Mit seinem Abschluss als Ingenieur konnte er nichts mehr anfangen. Um das kleine Mädchen zu versorgen, das genau neun Monate nach seiner Entlassung zur Welt kam und zu seinem Lebensmittelpunkt wurde, hatte er als Kellner angefangen.
Als wir ihn um diesen Gefallen gebeten hatten, hatte er gleich zugesagt. Kein Zaudern, keine Fragen. Er hatte ein gutes Gedächtnis.
Ich kam mit dem Taxi dorthin und betrat das Zentrum durch eine Nebentür. Arben wartete schon auf mich, mit verschränkten Armen und wachsamem Blick. Er winkte mir, ihm auf die Toilette zu folgen, wo wir einander nach Wanzen durchsuchten. Wieder in der Kneipe, forderte ich ihn auf, einen Tisch zu wählen, als weiteres Zeichen meiner Vertrauenswürdigkeit. Max hatte bereits Platz genommen, mit Kopfhörer und Zeitung, während wir draußen waren. Er sah aus wie der perfekte Herumlungerer. Ich versuchte, die Männer des Mafioso zu erkennen, konnte aber keine verdächtigen Gesichter entdecken. Wenn er tatsächlich beabsichtigte, auf unseren Vorschlag einzugehen, konnte er sich ja auch nicht begleiten lassen.
Der Kellner kam sofort und behandelte mich natürlich wie einen komplett Unbekannten. Alshabani bestellte sein übliches Bier, ich einen Cappuccino und ein Croissant. Arben wollte sofort mit der Verhandlung beginnen, doch ich sagte, es sei besser zu warten, bis das Bestellte da war, dann gebe es keine Störung. Der wahre Grund bestand darin, dass erst dann der verwanzte Papierserviettenhalter schön in der Mitte des Tischs stehen würde; vorher wollte ich nicht verhandeln.
Der Ex-Häftling spielte perfekt die Rolle des anstelligen Kellners, und Arben, endlich entspannt, nahm
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