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Bangkok Tattoo

Bangkok Tattoo

Titel: Bangkok Tattoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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Jiap, die sie praktisch seit ihrer Geburt kannte. Jiap war ungefähr im gleichen Alter wie sie selbst und nicht minder schön, aber nie den Verlockungen des Geldes oder des Ehrgeizes erlegen, und lebte in der Zeitlosigkeit des Kleinbauerntums. Chanya sah der neunundzwanzigjährigen Mutter dreier Kinder zu, wie sie im Morgengrauen den Wasserbüffel über die Reisfelder führte, ein leises Lied im Isaan-Dialekt auf den Lippen, genau wie damals, als sie beide noch Kinder waren. Chanya fühlte sich innerlich wie durch eine Glaswand von Jiap getrennt. In Amerika hatte sie sich im Vergleich zu den Menschen, die sie kennenlernte, im allgemeinen als leicht und frei empfunden; hier kam sie sich schwer, dekadent und verloren vor.
    Doch eines Nachmittags wurde sie durch eine kleine Dorfdelegation von ihren negativen Gedanken abgelenkt. Ruhig und sehr ausführlich erklärte man Chanya, wie klug ihre Schwester sei: immer die Beste in allen Kursen, und dazu besitze sie etwas, das man wohl als »Buddha-Inspiration« bezeichnen müsse. Mit weiterer finanzieller Unterstützung würde sie sicher hier in Thailand das Medizinstudium schaffen, aber …
    In Thailand? Die besten Ärzte des Landes sprachen fließend Englisch, weil sie in den Vereinigten Staaten oder Großbritannien studiert hatten. Natürlich wäre dazu Geld nötig, ziemlich viel sogar, aber es würde dem Land wirklich nützen, wenn eine Thai-Frau aus ärmlichen Verhältnissen, die über die medizinischen Bedürfnisse der Armen Bescheid wisse, die beste Ausbildung der Welt erhielte. Der Frauenemanzipation wäre damit auch gedient.
    Chanya verstand sehr wohl, was die Dorfbewohner ihr sagen wollten, denn ähnliche Gedanken hatte sie selbst schon gehegt: Ein paar einträgliche Jahre im Gewerbe hätte sie noch, danach gäbe es keine Gelegenheit mehr, so viel Geld zu verdienen, jedenfalls nicht für eine ungelernte junge Frau aus Surin, schon gar nicht für eine Exnutte.
    Chanya überschlug ihre Ersparnisse. Eigentlich wollte sie ihre Heimat nicht wieder verlassen, aber nach einem Jahr in Bangkok würde das Geld reichen. Was für einen Unterschied machte dieses eine Jahr schon, wenn ihre Schwester dadurch Gelegenheit erhielte, eine hervorragende Ärztin zu werden? Sie redete sich ein, daß der Buddha ihr Vorhaben mit Wohlwollen betrachten würde, und begann, ihre Argumentation mathematisch zu belegen. Die Rechnung sah ungefähr so aus: Zehn Jahre lang durchschnittlich drei Männer pro Woche ergibt 1560; bei zweimal Bumsen pro Kunde (einmal nachts und einmal morgens, damit er ein großzügig bemessenes Trinkgeld gibt) beläuft sich das auf 3120 Einheiten schlechtes Karma. Zum Ausgleich müßte ihre Schwester eine gleich große Anzahl von mittleren bis spektakulären Heilungen bewirken, was sich Chanyas Ansicht nach leicht in etwa einem Jahr bewerkstelligen ließe. Mit anderen Worten: Als Belohnung für die Unterstützung ihrer Schwester wäre sie bereits etwa ein Jahr nach deren Berufseintritt von den karmischen Konsequenzen ihrer Tätigkeit befreit.
    Allerdings würde sie sich mit dem Neuanfang Zeit lassen, denn Amerika hatte sie stärker ausgelaugt als erwartet. Bevor sie wieder ins Gewerbe einstieg, wollte sie sich im Thai-Stil erholen.
     
    Sie hatte nach Mitchs Warnung Amerika so hastig verlassen, daß er nicht mehr dazu gekommen war, sich nach ihrer Heimatadresse zu erkundigen. Auch ihre Telefonnummer besaß er nicht, denn das amerikanische Handy funktionierte nur innerhalb der Vereinigten Staaten. Es war leicht, den Kontakt zu Mitch abzubrechen, weil er sie vermutlich nicht einmal mit Hilfe von CIA-Daten aufspüren konnte. Und genau das hatte sie vor: sich ein für allemal von seiner gleichermaßen beängstigenden wie faszinierenden Besessenheit zu befreien.
    Allerdings bringt die Umsiedelung von West nach Ost einen Tempowechsel mit sich, der zu Orientierungsschwierigkeiten führen kann. Die Nachmittage in Chanyas Dorf waren lang und heiß, und niemand kam auf die Idee, in dieser Zeit etwas anderes zu tun als zu schlafen, hi-lo zu spielen oder moonshine zu trinken. Sogar Chanyas Cousine Jiap setzte gern kleine Beträge, ein kühles Bier in der Hand. Während ihres Amerikaaufenthalts hatte Chanya sich auf Mitchs Anraten angewöhnt, am Abend eine kurze Liste der Dinge anzulegen, die sie am nächsten Tag erledigen wollte, und diese, wenn er vorüber war, darauf zu überprüfen, wieviel sie geschafft hatte. In ihrer Heimat erzeugte diese Gewohnheit Rastlosigkeit. Nach ein paar

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