Bangkok Tattoo
Handy herauszuholen und eine gespeicherte Nummer zu wählen. »Schenkst du mir dein Herz, wenn ich dir meines gebe?« frage ich.
»Nicht, wenn du stirbst.«
»Wir müssen ihn aufhalten.«
Langes Schweigen. »Das ist gar nicht so leicht. Was willst du tun?«
»Mit dir zusammenleben. Mit dir schlafen.«
»Und das soll funktionieren?«
»Es wäre doch einen Versuch wert, oder?«
Sie beendet das Gespräch mit einem vernehmlichen Ausatmen.
39
Du mit deiner merkwürdigen Moral, farang, würdest wohl meinen, daß sich ein Mann und eine Frau auf Verbrecherjagd, die aus strategischen Gründen gezwungen sind, sich als Liebespaar auszugeben, bemühen sollten, aus gespielten Umarmungen keine echte sexuelle Beziehung werden zu lassen, nicht wahr?
Tja, vergiß es. Chanya und ich treiben’s in unserem kleinen Liebesnest an der Soi 39 – etwas Besseres kann ich mir in diesem teuren Teil der Stadt nicht leisten – wie die Karnickel. Sie ist wunderschön, sanft, zärtlich und sexuell großzügig; wer sie nicht liebt, muß aus Stein sein. Allerdings sind wir gezwungen, unsere Liebe auch öffentlich zu demonstrieren, besonders am Abend, wenn die japanischen Clubs geöffnet haben und die Mamasans von den Türen aus die Straße beobachten. Tagsüber sind unsere Aufgaben praktischerer Natur.
Wir haben uns in einem traditionellen kleinen Apartment häuslich eingerichtet, was bedeutet, daß wir uns an einer großen Wanne draußen auf dem Hof waschen, wo sich auch ein Gaskocher mit Doppelplatte und ein einzelnes wackeliges Schränkchen befinden. Es gibt kein Bett, also habe ich zwei Futons besorgt und nebeneinandergelegt. Ich liebe Chanya am innigsten morgens, wenn sie sich verschlafen auf die Seite rollt und sich von hinten nehmen läßt. Oder spätabends, wenn sie richtig geil ist? Oder wenn sie sich draußen im Hof unter ihrem Sarong wäscht, um sich vor den neugierigen Blicken der Nachbarn zu schützen? Bitte frag mich nicht. Die Liebe ist ein Wahn, der jede Faser des Körpers durchdringt und sich verstärkt, wenn man weiß, daß man möglicherweise innerhalb der nächsten Woche stirbt. Unsere Handys sind immer aufgeladen, und ich überprüfe meine E-Mails täglich im örtlichen Internetcafé. Doch nichts tut sich, es erfolgt kein Angriff. So etwas wie Selbstzufriedenheit stellt sich ein. Sporadisch versuche ich, ihr relevante Informationen zu entlocken. Im allgemeinen beantwortet sie meine Fragen, wenn auch nicht immer erschöpfend. Der zweite Teil der Mitch-Geschichte hört sich an wie die von Othello ohne Jago.
Chanya kehrte nach Thailand zurück, als die Welt den Einsturz der Twin Towers gebannt auf den Bildschirmen mitverfolgte. Sie nannte über einhunderttausend Dollar ihr eigen und hatte nicht die Absicht, jemals wieder ihren Körper zu verkaufen, denn inzwischen war sie neunundzwanzig und wurde allmählich zu alt für das Gewerbe. Also baute sie ihren Eltern ein neues Haus, schenkte ihnen zwanzig Wasserbüffel für die Zucht, schickte ihre beiden jüngeren Brüder auf die besten Schulen Thailands und gratulierte ihrer kleinen Schwester, die gerade das Biologiestudium an der Chulalongkorn University abgeschlossen hatte. Nach Begleichung aller Rechnungen war nicht mehr viel Geld übrig, aber das brauchte sie auch nicht. Gegen Ende ihres Washington-Aufenthalts hatte sie mehrfach mit dem Gedanken gespielt, das durch ihre Tätigkeit bedingte karmische Ungleichgewicht dadurch auszugleichen, daß sie ihr Leben Buddha weihte. Sie war die Königin ihres Dorfes, das Idol ihrer Eltern, fast so etwas wie eine Göttin im ländlichen Thailand.
Chanya versuchte, die verlorenen Jahre wettzumachen, indem sie soviel Zeit wie möglich mit ihren Eltern, besonders ihrem Vater, verbrachte, einem gläubigen Buddhisten, zu dem sie immer schon ein sehr enges Verhältnis gehabt hatte. »Nichts zu begehren, ist echte Ekstase«, erklärte er Chanya. Sie wußte, daß die farang- Arznei , die ihm ein weiteres Jahrzehnt auf Erden schenken würde, für ihn ein zweischneidiges Schwert war; sie brachte ihm eher Verpflichtungen als Freude. Eigentlich begriff er nicht, welchen Sinn es hatte, sein Leben künstlich zu verlängern; er nahm die Mittel aus Höflichkeit, um ihr eine Freude zu machen. Sie kaufte eine Honda und brachte ihn damit fast jeden Morgen zum örtlichen wat, wo sie ihn um seine Unschuld beneidete und sich schwor, die ihre wiederzuerlangen.
Auch an den anderen Tagen erwachte sie vor Sonnenaufgang und beobachtete ihre Cousine
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