Bangkok Tattoo
Schußlinie. Das Siemens-Handy zerbrach in tausend Stücke. Die beiden Koffer folgten mir auf den Boden, und einige der Blöcke platzten auf, wodurch sich der Nettowert meines khakifarbenen Hemds und meiner schwarzen Hose im Handumdrehen um etwa 50000 Dollar erhöhte. Vermutlich hätte Ruamsantiah nichts dagegen gehabt, die Bearbeitung des Falls durch eine Kugel in die rosafarbene Kokosnuß zu verkürzen, aber da knallte diese auch schon gegen die Wand und landete zusammen mit den Tischresten ächzend auf dem Boden. Das windige Dritte-Welt-Möbel löste sich beim Aufprall in seine Bestandteile auf, während Buckles robuster Erste-Welt-Schädel lediglich einen noch tieferen Pinkton annahm. Trotzdem stellte sich Ruamsantiah wie jeder Cop in einer solchen Situation folgende Frage: Soll ich das Schwein erschießen oder es bloß windelweich prügeln?
Widerwillig – vielleicht, weil ihm die Papierberge in den Sinn kamen, die sich beim Tod eines farang in Polizeigewahrsam unweigerlich anhäufen – öffnete Ruamsantiah die Zimmertür und rief nach Verstärkung. Kurze Zeit später drängten sich in dem Raum energische, einsatzwillige junge Männer in schwarzen Schnürstiefeln, die hier ein Mittel gegen ihre Langeweile witterten. Die rosarote Kokosnuß begann zu kreischen, als ich mich mit den Resten des Siemens-Handys verdrückte.
Ich suchte die Latrinen auf, um Hemd und Hose abzuklopfen, und dabei gingen mir Gedanken über die Fragilität menschlicher Werte durch den Kopf: Dieses graue Gift, für das Menschen Leben und Freiheit riskieren, war nun nur noch wertloser Staub auf dem Boden einer alten Polizeitoilette. Die einzige Konstante im Leben ist die Veränderung. Außerdem überlegte ich, was passieren würde, wenn ich einem unserer Drogenhunde begegnete, bevor ich dazu käme, zu Hause zu duschen. Für den Hund wäre der Stoff selbstverständlich nach wie vor das interessanteste Gut der Welt, denn ohne ihn würde er sich in nichts von den zahllosen arbeitslosen Kötern unterscheiden, die sich stets um die nächste Mahlzeit sorgen mußten. Es gibt kaum enthusiastischere Helfer im Krieg gegen die Drogen als unsere Spürhunde.
Unten waren die Jungs von der Spurensicherung zu beschäftigt mit ihrem MP3-Projekt (Wav auf MP3 sei kein Problem, aber die Übertragung des Windows-Media-Player-Formats auf MP3 stelle eine echte Herausforderung dar, erklärten sie mir), um sofort einen Blick auf die Sim-Card zu werfen. Außerdem wiesen sie mich darauf hin, daß die Schreie aus dem Vernehmungszimmer auf ein baldiges Geständnis hindeuteten. Warum also die Eile? Sie würden sich mit mir in Verbindung setzen.
In der Kantine verleibte ich mir ein chili-intensives Frühstück mit einem 7-Up ein, bevor ich wieder nach oben zurückkehrte, wo die Schreie aus dem Befragungszimmer mittlerweile verstummt waren.
Am oberen Ende der Treppe begegnete ich einem der jungen Cops mit schweren schwarzen Stiefeln, der mir sagte, die rosarote Kokosnuß wolle ein Geständnis ablegen. Jedenfalls glaubten sie das. Als ich den Raum betrat, war ich erfreut, kein Blut, keine blauen Flecken und ausgeschlagenen Zähne zu sehen. Doch was sie auch immer mit ihm angestellt hatten: Es war erstaunlich effektiv gewesen. Die Neandertalerwut der Kokosnuß hatte sich verflüchtigt, das feiste Gesicht wirkte erschöpft. Wie er so auf dem Boden lag, ein Kissen im Nacken, kam die Seele eines vielleicht Fünfjährigen zum Vorschein, der sich nach der Mutter sehnt. Da an seinem Hemd nun die Knöpfe fehlten, sah ich, was für ein gefundenes Fressen er im Lauf der Jahre für Tätowierer unterschiedlichster Fähigkeit, aber geeint in ihrer Liebe zum Farbton Indigoblau, gewesen war.
Als ich Buckle fragte, ob er ein Geständnis ablegen wolle, leckte er sich die Lippen und nickte. Wir stellten ihn auf die Füße und schleppten ihn zu einem Stuhl. Dabei kam das Telefonbuch zum Vorschein, auf dem er gelegen hatte. Dieses Telefonbuch ist in unserem Teil der Welt der beste Freund des Vernehmungsbeamten. Als Puffer zwischen Stiefel und Befragtem kaschiert es Hinweise auf eine Mißhandlung, ohne zu sehr vom Sinn der Übung abzulenken.
Ruamsantiah schüttelte staunend den Kopf. »Er ist zäh, das muß man ihm lassen. Sie haben ihn die ganze Zeit, während Sie frühstückten, bearbeitet. So etwas habe ich noch nie erlebt – seine Schmerzschwelle ist unglaublich hoch. Das häßliche Schwein scheint aus Beton zu bestehen.«
Erst jetzt fiel mir auf, daß alle jungen Beamten schwitzten
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