Bangkok Tattoo
unglaublich muskulöse Arme und Beine, ein für intellektuell Minderbemittelte typisches Stirnrunzeln, auf beiden Unterarmen Tätowierungen, die von seiner unsterblichen Liebe für seine Mutter (links) und Denise (rechts, in Indigoblau, vom Ellbogen bis zum Handgelenk) kündeten, sowie Einstichlöcher in allen Hauptvenen. Auf dem ansonsten leeren Tisch in dem ebenfalls leeren Vernehmungszimmer ruhten zwei geöffnete Koffer, in denen sich in Plastik verpackte graue Blöcke von etwa fünfzehn mal zehn Zentimeter Größe befanden. Ruamsantiah reichte mir einen britischen Paß auf den Namen Charles Valentine Buckle und erklärte mir, man habe Buckle nach einem Tip bei einem koordinierten Einsatz von Polizei und Zollbehörde in seinem Hotel festgenommen.
»Finden Sie raus, ob er wirklich so dumm ist, wie er aussieht«, wies Sergeant Ruamsantiah mich an.
»Und wenn ja?«
»Dann sollten wir uns auf die Suche nach Denise machen.«
Ruamsantiahs intuitiver Ansatz ist im ganzen Revier bekannt. Mir persönlich wären gründlichere Ermittlungen mit genau definierten Schritten lieber gewesen, aber seine Erkenntnisse über dieses Testosteronpaket ließen sich schwer widerlegen. Seiner Ansicht nach war Buckle zu dumm, um Kauf, Transport und Export einer 500000-Dollar-Lieferung Morphium allein zu organisieren, stand demzufolge in Verbindung mit einer Person ausgereifteren Intellekts – Buckles Tätowierungen und Macho-Sklavenverhalten nach zu urteilen eine Frau –, 3. deren Name aller Wahrscheinlichkeit nach Denise lautete.
Mir fiel auf, daß das Denise-Tattoo dunkler und demnach neueren Datums war als das andere, was fast so etwas wie einen Beweis für Ruamsantiahs Hypothese darstellte. Je länger ich Buckle betrachtete, desto überzeugter wurde ich, daß er keine Entscheidung ohne Denise treffen würde. Ja, Denise war der Dreh- und Angelpunkt.
»Sein Handy?«
Ruamsantiah holte ein ziemlich altmodisches Siemens-Gerät aus einer Schublade unter dem Tisch und reichte es mir. Es machte mich stolz, daß ich in der Lage war, sowohl sein Adressenverzeichnis auf der Sim-Card als auch die Liste kürzlich angewählter Verbindungen sowie erhaltener Anrufe aufzufinden. (Wer mit Nutten arbeitet, weiß bald mit Handys umzugehen, farang.) Eine der Nummern, vermutlich von einem anderen Mobiltelefon, tauchte besonders oft auf. Ich ging das Adressenverzeichnis nach ihr durch und stellte fest, daß sie mit dem Eintrag »D« korrespondierte. Die rosafarbene Kokosnuß beobachtete mich mit wachsender Wut, die sich durch einen Schweißfilm auf Gesicht und rasiertem Schädel äußerte, als wäre der Mann gerade aus einem Tropensturm gekommen. (Hin und wieder lösten sich einzelne Tropfen, und das Ganze ging einher mit einem für Konsumenten von Milchprodukten typischen Körpergeruch – aus Zitronengras entsteht kein solcher Gestank.)
»D steht für Denise, stimmt’s?« herrschte ich ihn an.
Ich selbst hielt das nicht für eine intellektuelle Glanzleistung, doch Charles Buckle wirkte beeindruckt. »Ja.«
Dann schwieg er wieder mit zusammengekniffenen Lippen, als befürchtete er, bereits zuviel gesagt zu haben.
»Schauen wir mal, ob sie wach ist, ja?«
Ich wählte die Nummer. Zwölfmal Klingeln, bis sich eine verschlafene Stimme mit britischem Akzent meldete.
»Scheiße, Chaz, was willsten du jetzt um diese Zeit?«
»Guten Morgen«, antwortete ich. »Hier spricht die Royal Thai Police Force. Chaz wandert den Rest seines Lebens ins Gefängnis, vorausgesetzt, er wird nicht zum Tod verurteilt. Wir würden Ihnen gern ein paar Fragen stellen hinsichtlich …«
Weder der Sergeant noch ich war darauf vorbereitet. In Thailand werden Festgenommene aus einem einfachen Grund kaum jemals gewalttätig: Die Cops würden sie erschießen. Ruamsantiah sprang auf, um nach seiner Dienstwaffe zu greifen, die neben seinem Rückgrat im Gürtel steckte, doch Chaz schwang sich bereits über den Tisch, offenbar in einem ritterlichen, wenn auch ziemlich aussichtslosen Versuch, die namentlich auf seinem rechten Unterarm Verewigte vor dem Vorwurf einer Verwicklung in den internationalen Drogenhandel zu schützen. Der Tisch wollte jedoch nicht so wie Chaz und bewegte sich mit ihm (während ich mit meinem Stuhl darunter verschwand), so daß der Eindruck entstand, es handle sich um ein vierbeiniges Floß, auf dem ein einsamer Seemann eine Erkundungstour durch das Befragungszimmer unternahm. Währenddessen zielte Ruamsantiah auf ihn, und ich rollte aus der
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