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Bangkok Tattoo

Bangkok Tattoo

Titel: Bangkok Tattoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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Flur vor Vikorns Büro jedoch ist leer. Der Colonel lauscht meinen Ausführungen über Chanyas Tagebuch und die CIA-Leute Hudson und Bright, denen ich in Songai Kolok begegnet bin. Nach einer Weile erhebt er sich und geht, die Hände in den Taschen, auf und ab.
    »Man muß sich das folgendermaßen vorstellen: Du bist brillant und hast einen Doktortitel in einem unheimlich komplizierten Fachbereich. Noch als Student beschließt du, deinem Land zu dienen, indem du dich bei der CIA bewirbst, die dich natürlich mit offenen Armen aufnimmt. Aber zehn Jahre später bist du kein naiver Student mehr. Alle ehemaligen Kommilitonen verdienen inzwischen doppelt soviel wie du, und es bereitet ihnen einen Mordsspaß, dieses Geld auszugeben. Bedeutend dümmere Leute als du sind jetzt Industriebosse oder Technologietycoons – vielleicht haben sie ihre erste Karriere bereits erfolgreich hinter sich. Sie müssen sich keine Gedanken über die Zukunft machen und über das, was sie ihrer Frau und ihren Kindern erzählen; sie brauchen auch nicht zu fürchten, daß sie von ganz oben vier oder fünf Jahre lang in irgendein gottverlassenes Nest wie Songai Kolok beordert werden. Sie müssen sich nicht alle sechs Monate einem unangekündigten Drogen- oder Lügendetektortest unterziehen oder Angst haben, belauscht zu werden. Du hingegen sitzt in der Falle der Organisation, aus der es lediglich den Ausweg der Beförderung gibt. Das Agentendasein ähnelt dem des Soldaten in einer Hinsicht: Zur Verbesserung der Aussichten ist ein hübscher großer Krieg nötig. Und seit dem 11. September existiert innerhalb der CIA eigentlich nur noch eine Möglichkeit, sich eine Beförderung zu sichern: Man muß ein paar Al-Qaida-Leute schnappen. Was hältst du von den Typen, die in Mitch Turners Wohnung herumgeschnüffelt haben?«
    Wie schon so oft hat mein Herr und Meister mühelos sein strategisches Genie, seine intellektuelle Überlegenheit und seine Kenntnis menschlicher Schwächen offenbart.
    »Auf Hudson, den älteren der beiden, paßt diese Beschreibung genau«, muß ich zugeben.
    »Mittleres Alter, frustriert, beförderungsgeil, ideologisch abgestumpft, angeödet von der Spionage im kleinen Stil? Er hat keine Ahnung, was er in der Dritten Welt soll, weil er doch inzwischen viel lieber einen schönen großen Schreibtisch in Washington hätte, stimmt’s?«
    »Ja.« Im Augenblick erscheint es mir unpassend, Hudsons extraterrestrische Ursprünge zu erwähnen.
    »Und der andere?«
    »Der typische unreife, großspurige farang- Mannmit einer Neigung, in Elefantenfallen zu latschen.« Die Vorleben des armen Jungen verschweige ich; den meisten Leuten ist nicht klar, wie langweilig die karmische Vergangenheit oft sein kann. Wie fast alle Menschen gehört Bright seit mehr als tausend Jahren zu den Herdentieren und hat in vielen historischen Schlachten einen ehrenhaften Tod gefunden. Zweifel beschlichen ihn zum erstenmal, als er in Da Nang in seinem eigenen Blut lag.
    »Hmmm.« Vikorn betrachtet mich mit glänzenden Augen. »Die große Schwäche des Westens besteht darin, daß er Loyalität lediglich durch die Aussicht auf Wohlstand wecken kann. Aber was hat man sich unter Wohlstand vorzustellen? Eine zweite Waschmaschine, ein größeres Auto, ein schöneres Haus? Geistesnahrung ist das alles nicht. Der Westen präsentiert sich als riesiger Supermarkt. Und wer will schon für einen Supermarkt sterben?«
    Er sieht mich fragend an. Ich zucke mit den Achseln.
    »Letztlich geht’s nur darum, sich keine Blöße zu geben.«
    Grinsend macht er wieder diese obszöne Fischkitzelgeste.
    Als ich versuche, Lek zu erreichen, erfahre ich, daß er sich zwei Tage lang krank gemeldet hat. Niemand weiß, wo er steckt. Auch Fatima kann mir nicht mehr sagen.
    »Müssen wir uns Sorgen machen?« frage ich sie.
    »Schätzchen, es war der richtige Zeitpunkt, ihn aus seinem behaglichen kleinen Nest zu stoßen. Hat er das Fliegen gelernt oder nicht? Für Fälle wie ihn gibt’s keine Regeln. Wenn er’s übersteht, kommt er wieder. Ohne mich kann er jetzt nicht mehr leben.«
    »Du hast nicht mal nach ihm gesehen?«
    »Nun sei nicht albern, Schätzchen.«
     
    Vergangene Nacht habe ich wieder von Chanya geträumt: ein künstlich angelegter, quadratischer See, wie es sie nur in Radschastan gibt, mit einem Tempel in der Mitte, der auf einem weißen Floß zu schwimmen scheint. Am Ufer verloren wirkende junge Männer. Die Pilger werden mit dem Boot einzeln zu der Insel hinübergebracht, um

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