Bangkok Tattoo
strahlendsten Lächeln. »Kein Wunder, daß ich soviel Geld verdiene.«
Er zuckt zusammen, hält Ausschau nach einer Möglichkeit, das Gespräch zu lenken. (Vermutlich kommt nun der Teil der Persönlichkeit durch, die er später als Politiker brauchen wird.) Ruhig und mit aufrichtigem Blick sagt er: »Die Frauen haben sich ihre Unabhängigkeit erkämpft. Vielleicht übertreiben sie ein bißchen, aber ihrer Ansicht nach wurden sie von den Männern unterdrückt, waren fast ihre Sklavinnen.«
»Tja, und jetzt sind sie Sklavinnen eures Systems. Das System liebt sie nicht und behandelt sie nicht gut, es bescheißt sie. Sie müssen sich den ganzen Tag lang in Büros abrackern und arbeiten, arbeiten, arbeiten, um irgend jemanden reich zu machen. Inwiefern soll das eine Verbesserung sein?«
»Du prostituierst dich für Männer. Also bist du eine Sklavin des Geldes.«
»Für dich hat das Wort ›Geld‹ eine farang-, für mich eine Thai-Bedeutung.«
»Und wie sieht diese Thai-Bedeutung aus?«
»Das Wort steht für Freiheit. Ich schufte eine, vielleicht zwei Stunden, und dann kann ich den Rest der Woche von dem Geld leben, wenn ich will. Ich werde weder von einem Mann noch vom System beherrscht. Ich bin frei.«
»Du prostituierst dich trotzdem, denn du arbeitest.«
»Du widersprichst dir selbst. Meine Arbeit unterscheidet sich nicht von der anderer Frauen, das hast du selber gerade gesagt.«
»Aber du verkaufst deinen Körper. Wie läßt sich das mit dem Buddhismus vereinbaren?«
»Das begreifst du nicht. Ich prostituiere mich nur mit einem Teil meines Körpers, der nicht wichtig ist, und das schadet niemandem außer vielleicht meinem Karma. Du prostituierst deinen Geist, und der ist der Sitz von Buddha.«
Sie droht ihm mit dem Finger. »Was du tust, ist sehr, sehr schlecht. Du solltest deinen Geist nicht so verwenden.«
»Wie? Ich benutze meinen Geist für die Arbeit. Das ist keine Prostitution.«
»Thanee sagt, daß Washingtoner Diplomaten wie du die Aktionen des Präsidenten nicht gutheißen. Er ist sehr gefährlich und wird noch den Haß der ganzen Welt auf Amerika ziehen. Du hast mir erklärt, er muß alles in Gut und Böse einteilen, weil er nur bis zwei zählen kann. Aber du arbeitest für ihn, stellst ihm deinen Geist zur Verfügung für Pläne, die der Welt schaden werden. Das nenne ich Prostitution. Dadurch könntest du dir ein sehr schlechtes Karma einhandeln. Vielleicht kommst du das nächste Mal als Kakerlake zur Welt.«
Mitch Turner bricht in schallendes Gelächter aus. Er scheint die skurrile Gewandtheit ihrer Argumentation zu bewundern.
Chanya steckt in der Zwickmühle; sie weiß nicht, was sie mit diesem Mann machen soll.
Vermutlich hätte sich ihre Beziehung immer weiter verschlechtert, wie das bei solchen Beziehungen meist der Fall ist; sie wären getrennte Wege gegangen, möglicherweise hätte sie Washington verlassen müssen und wäre ein paar Monate später nach Thailand zurückgekehrt, denn sie hatte bereits genug Geld gespart, um sich aus dem Berufsleben zurückziehen zu können. Aber dieses letzte Gespräch fand am 10. September 2001 statt.
Interessanterweise notiert Chanya, die erschöpft und niedergeschlagen ist von ihrer Auseinandersetzung mit Mitch, genau an diesem Tag eine jener Einsichten, die jeder hat, der lange Zeit im Ausland lebt. Ecke Pennsylvania Avenue/Ninth Street wird sie von Sehnsucht nach ihrem Heimatland überwältigt. Was sie erlebt, ist eine völlige Umwälzung ihrer Einstellung.
Von Anfang an hat sie an den Amerikanern, sogar den ärmsten, etwas ganz Bestimmtes beeindruckt: die Art und Weise, wie sie gehen. Sogar Penner schreiten energisch und zielsicher aus. Ganz anders als die Thais in Bangkok oder Surin, wo es sich noch nicht herumgesprochen hat, daß Zielstrebigkeit wichtig sein könnte. Mittlerweile kennt sie Amerika ziemlich gut, und eines ist ihr klar:
Sie wissen nicht, wo sie hinwollen, sondern verstehen es lediglich, auszusehen, als wüßten sie es. Sie gehen so, weil sie Angst haben. Irgendein Dämon treibt sie an. Chanya wird nie so gehen.
Einen Augenblick lang hat sie das Gefühl, Saharat Amerika voll und ganz zu begreifen. Diese Erkenntnis führt zu der Entscheidung, eher früher als später nach Thailand zurückzukehren. Sie will keinen Mann voller Angst heiraten, der die Kunst des Nirgendwohingehens mit solcher Beharrlichkeit kultiviert hat. Zuzugeben, daß man verloren ist, erscheint ihr aufrichtiger und der Erleuchtung bedeutend
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