Bangkok Tattoo
sich mit dem dort lebenden buddhistischen Mönch zu unterhalten. Als ich an der Reihe bin, stelle ich fest, daß ich diesem Mönch nicht in die Augen sehen kann. Ich halte ihm ein Foto von Chanya hin und wache schweißgebadet auf.
Der Traum hat mich aus der Fassung gebracht. Bisher hatte ich mir nicht eingestanden, wie sehr ich sie begehre, und jetzt durchleide ich all jene Qualen, die bei anderen so amüsant zu beobachten sind. Vikorns abfällige Bemerkung über mein Gefühlsleben ist die eine Sache, aber auch noch vom Transzendenten geoutet zu werden … Trotzdem hole ich erst etliche Stunden später mein Handy heraus, um sie anzurufen.
»Sonchai?« meldet sie sich in dem schmelzenden Tonfall, für den man sie am liebsten umbringen möchte, wenn sie ihn bei anderen Männern verwendet.
»Ich wollte nur wissen, wie’s dir geht.«
»Ach. Hast du mein Tagebuch gelesen?«
»Ja«, flüstere ich heiser.
»Wahrscheinlich ist es gar nicht so interessant. Ich dachte nur, du möchtest vielleicht die Hintergründe kennen, für den Fall, daß …«
»Ja, klar. Allerdings wären da ein paar Dinge, über die wir uns unterhalten sollten.«
»Zum Beispiel?«
»Wollen wir das wirklich am Telefon besprechen?«
»Du meinst, wir könnten abgehört werden? Ist es schon so schlimm?«
»Hm, vielleicht, keine Ahnung.«
»Und, was möchtest du machen?«
»Könnten wir uns zum Essen treffen?«
28
Vergiß es , farang, ich verrate dir nicht, was beim Abendessen passiert ist. Sagen wir mal so: Ich habe mich, nervös, unbeholfen und verliebt, wie ich bin, zum Narren gemacht (es hat schon seine Richtigkeit, daß die Liebe in allen ernstzunehmenden Kosmologien weiblich ist), aber der gedämpfte Barsch mit Limone war ausgezeichnet, der kühle australische Weißwein himmlisch und mein Abschiedskuß auf ihre göttlichen Lippen besser als beides zusammen. (Wenn sie bis dahin noch nicht ahnte, daß ich den Verstand verloren habe, weiß sie es jetzt bestimmt.) Ich deute es als Zeichen kosmischen Mitgefühls, daß sie nicht mehr arbeitet. Nein, natürlich habe ich ihr nichts von dem Traum erzählt.
Es ist gegen zehn Uhr abends, als ich in den Old Man’s Club zurückkehre, wo bis jetzt meine Mutter das Zepter geführt hat, die ich nirgendwo entdecken kann.
Ich folge dem Geruch bis zu dem überdachten Areal des Hofs, in dem Nong sitzt. Als sie mich sieht, läßt sie hastig etwas verschwinden, aber zu spät.
»Ich dachte, du bist auf Diät.«
»Bin ich auch. Aber Obst darf ich essen.«
»Bestimmt nicht jedes. Ich wette, es sind nur Zitrusfrüchte erlaubt. Erst neulich hast du Äpfel gefuttert.«
»Obst ist Obst.«
Ich beschließe, trickreich vorzugehen, und nähere mich ihr mit einem charmanten Lächeln. Trotz ihres Argwohns erwidert sie meinen sanften Kuß auf die Wange und reagiert zu langsam, als ich mit der linken Hand das stinkende Ding von ihrem Teller hole.
»Diebische Elster.«
Ich kaue genüßlich vor mich hin. Ach, Durian, deine köstliche Dekadenz, deine klebrige Sinnlichkeit, dein urzeitlicher Pestilenzgeruch, dein morbider Reiz – tja, farang, mit Durianfrüchten kann man nur etwas anfangen, wenn man ein halbes Leben in unserer Weltgegend verbracht hat.
»Das ist die kalorienreichste Frucht der Welt. Der farang, der sich deine Diät ausgedacht hat, kennt sie bestimmt nicht.«
»Wir haben eine E-Mail bekommen«, sagt sie, um mich abzulenken. »Seine Ankunft verzögert sich wegen eines wichtigen Falles mindestens um eine weitere Woche.«
Buddha vergebe mir: Supermann hatte ich völlig vergessen. Ich haste zum PC und lese die Mail:
Liebste Nong, liebster Sonchai, es tut mir schrecklich leid, aber es wird später. Das Berufungsgericht hat mir gerade mitgeteilt, daß einer der drei Fälle, die ich im Moment bearbeite, in den nächsten Tagen zur Anhörung kommt. Ich vertrete einen der wichtigsten Mandanten der Kanzlei und bin deshalb unabkömmlich. Sobald der Fall verhandelt ist, reise ich zu Euch. Den Koffer habe ich schon gepackt; sofort nach dem Urteilsspruch fahre ich zum Flughafen. Ich bin schon sehr gespannt auf Euch zwei. Mein Gott, Nong … mein Gott (Dich liebe ich auch, Sonchai, auch wenn wir uns noch nie gesehen haben).
Ich denke noch über seinen letzten Satz nach (er schreibt, daß er mich liebt, fügt aber leider ein »auch« hinzu), als plötzlich alle erstarren, weil zwei Fremde den Club betreten.
Nun, »Fremde« ist nicht der richtige Ausdruck. Amerika ist wirklich eine aus einzelnen
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